(Kündigung des Mietvertrags durch den Mieter vor Ablauf der vereinbarten Dauer. Klage auf Feststellung der Nichtigkeit oder Unwirksamkeit der Kündigung durch den Vermieter vor Auszug des Mieters – Auszug des Mieters im Verlauf des Verfahrens, Änderung der Anträge des Vermieters, der die Zahlung einer Konventionalstrafe und evtl. Schadenersatz fordert). Die gleiche Argumentation [wie in BGE 149 III 469] gilt, wenn der Streit infolge einer vom Mieter selbst ausgesprochenen Kündigung entsteht, unabhängig davon, ob der Mietvertrag unbefristet oder befristet ist. In diesen Fällen geht es dem Mieter nicht darum, Kündigungsschutz zu erlangen. Denn das Gericht muss nicht entscheiden, ob und bis wann der Mieter in den Räumlichkeiten bleiben darf, sondern es entscheidet ausschliesslich über die finanziellen Ansprüche, die sich aus der Kündigung ergeben; die Frage, ob und wie das Mietverhältnis beendet wurde, stellt sich dann nur als Vorfrage. Die durch die Rechtsprechung erfolgte Ausweitung des Begriffs «Kündigungsschutz» auf die Beendigung des Mietverhältnisses ist durch den Zweck der Norm gerechtfertigt: Der Mieter verdient prozessualen Schutz insgesamt in allen Streitigkeiten, die ihn dem Risiko aussetzen, die Mieträume in naher oder ferner Zukunft gegen seinen Willen verlassen zu müssen. Geht die Kündigung jedoch vom Mieter selbst aus, so besteht dieses Risiko nicht. Der Mieter, der den Vertrag aus eigenem Antrieb kündigt und die Räumlichkeiten nicht mehr nutzt, benötigt keinen Schutz vor der Beendigung des Mietverhältnisses. Kommt es infolge der Kündigung zu einem Rechtsstreit, braucht dem Mieter daher nicht das vereinfachte Verfahren zugutezukommen, wie es Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO vorsieht. (E. 3.4) Die Vermieterin versuchte zunächst zu verhindern, dass die Mieterin die ausserordentliche Kündigung vollstreckt; als sie später über die Einstellung des Geschäftsbetriebs und die kurz darauf folgende Räumung der Räumlichkeiten und die Beendigung der Mietzahlungen informiert wurde, durfte sie ihre Anträge in der Replik anpassen, um den seit der Einreichung der Klage durch das Verhalten der Mieterin geänderten Umständen Rechnung zu tragen. Darin liegt keine Klageänderung i.S.v. Art. 227 Abs. 1 ZPO. Im Übrigen war in diesem Stadium die Art des Verfahrens – ordentliches oder vereinfachtes Verfahren – noch nicht geeignet, nicht wiedergutzumachende Auswirkungen auf den weiteren Verlauf des Prozesses zu zeitigen. Da die Beklagte die Räumlichkeiten offensichtlich definitiv verlassen hatte, hatte die Klägerin nun jedes Interesse daran verloren, dass das Gericht speziell über ihre [ursprünglichen] Feststellungsbegehren entschied. Ihre Anträge auf Feststellung der Nichtigkeit oder Unwirksamkeit der Kündigung wurden unzulässig, sobald die Vermieterin Leistungsanträge gestellt hatte.
2024-N7 Anwendung des vereinfachten Verfahrens im Bereich des Kündigungsschutzes: Verdient nur der Mieter prozessualen Schutz?
Bem. F. Bastons Bulletti
1 Die Mieterin von Geschäftsräumen kündigt ein befristetes Mietverhältnis vor dem vereinbarten Termin unter Berufung auf Mängel (Art. 259b lit. a OR), welche die Vermieterin bestreitet. Vor dem Auszug der Mieterin und innert der Frist von Art. 273 Abs. 1 OR klagt die Vermieterin auf Feststellung der Nichtigkeit oder Unwirksamkeit der Kündigung, eventualiter auf Aufhebung der Kündigung. Im Verlauf des Verfahrens verlässt die Mieterin die Räumlichkeiten. Die Vermieterin schliesst daraufhin in ihrer Replik auf Zahlung einer vertraglich vereinbarten Konventionalstrafe und allfälligen Schadenersatzes. Nachdem das Verfahren im ordentlichen Verfahren durchgeführt wurde, heisst das Gericht die Klage grösstenteils gut, indem es die Nichtigkeit der Kündigung feststellt und die Mieterin zur Zahlung der Konventionalstrafe verurteilt. Sein Entscheid wird vom Berufungsgericht bestätigt. Die Mieterin reicht beim BGer Beschwerde ein und beantragt hauptsächlich, auf die Klage sei nicht einzutreten. Sie rügt insbesondere, die Vorinstanzen hätten zu Unrecht das ordentliche und nicht das vereinfachte Verfahren angewendet und die Zulässigkeit des neuen Rechtsbegehrens auf Zahlung bejaht. In einem zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteil weist das BGer die Beschwerde ab.
2 Gemäss Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO gilt «[das vereinfachte Verfahren] ohne Rücksicht auf den Streitwert bei Streitigkeiten (…) aus Miete (…) von (…) Geschäftsräumen (…), sofern (…) der Kündigungsschutz (…) betroffen ist». Das BGer erinnert zunächst (E. 3.2.1) an seine Rechtsprechung zum Begriff «Kündigungsschutz»: Die Streitigkeit gehört zum «Kündigungsschutz», sobald das Gericht über das Ende des Mietverhältnisses entscheiden muss (BGE 142 III 690 E. 3.1, Anm. unter Art. 243 Abs. 2 lit. c, 3. und in Newsletter vom 26.10.2016). Der Begriff ist weit auszulegen und geht über den Kündigungsschutz stricto sensu (Art. 271–273c OR) hinaus, da es um den Schutz des Mieters geht, der dem Risiko ausgesetzt ist, die Räumlichkeiten verlassen zu müssen (BGE 142 III 402 E. 2.5, Anm. ibid. und in Newsletter vom 14.7.2016). Das BGer erinnert jedoch auch an das jüngste Urteil BGE 149 III 469 E. 2.5-2.6 (Anm. ibid. und in Newsletter 2023-N15), in dem es seine Rechtsprechung nuanciert hat: Der Begriff der Streitigkeit über das Ende des Mietverhältnisses umfasst nur Fälle, in denen über den (in der Zukunft liegenden) Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses und nicht ausschliesslich über finanzielle Ansprüche aus einem bereits beendeten Mietverhältnis zu befinden ist; denn in den letztgenannten Fällen besteht weder ein Machtgefälle zwischen den Parteien noch eine Dringlichkeit einer Beurteilung, die für den Bereich des Kündigungsschutzes typisch sind.
3 Auf dieser Grundlage betont das BGer im vorliegenden Urteil (E. 3.2.2 und 3.3), dass der Begriff «Kündigungsschutz», der den prozessualen Schutz nach Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO bedingt, alle Streitigkeiten erfasst, die den Mieter dem Risiko aussetzen, die gemieteten Räumlichkeiten gegen seinen Willen verlassen zu müssen, aber nur diese Streitigkeiten. Nun folgt aber die Streitigkeit im vorliegenden Fall auf eine Kündigung durch die Mieterin, die die Räumlichkeiten nicht mehr benutzt, und es geht darum, über ausschliesslich finanzielle Ansprüche zu befinden, die nach dem Ende des Mietverhältnisses erhoben wurden, wobei dieses nur vorfrageweise zu prüfen ist. Somit unterliegt das Rechtsbegehren der Vermieterin auf Zahlung nicht dem vereinfachten Verfahren nach Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO. Angesichts des Streitwerts von über Fr. 30’000.- ist das ordentliche Verfahren anwendbar (Art. 243 Abs. 1 ZPO e contrario; vgl. auch TC/VD vom 14.6.2017 (2017/219) E. 2.4.1–2.4.3, Anm. unter Art. 243 Abs. 2 lit. c, 3. und Bem. M. Heinzmann in Newsletter vom 28.2.2018; auch in diesem Fall hatte der Mieter den Mietvertrag gekündigt und die Räumlichkeiten verlassen, sodass sich die Frage nach dem Ende des Mietverhältnisses nur noch vorfrageweise stellte).
4 In Bezug auf die Zulässigkeit des neuen Rechtsbegehrens auf Zahlung erwägt das BGer (E. 3.4 des Urteils), dass die Vermieterin, die, nachdem sie die Feststellung der Nichtigkeit oder die Aufhebung der von der Mieterin ausgesprochenen Kündigung beantragt hatte, nach deren Auszug auf die Zahlung einer Konventionalstrafe schloss, ihre Klage nicht geändert hat. Es weist darauf hin, dass die Anpassung der Rechtsbegehren aufgrund einer von der Gegenpartei verursachten Änderung der Umstände erforderlich war, denn durch den Auszug der Mieterin verlor die Klägerin jedes Interesse an der Feststellung wie auch an der Aufhebung der Kündigung, sodass ihre ursprüngliche Klage mit Blick auf Art. 59 Abs. 2 lit. a ZPO unzulässig geworden ist (E. 3.4 des Urteils). Diese Sichtweise überzeugt nicht: Eine Klageänderung i.S.v. Art. 227 ZPO liegt vor, wenn der Streitgegenstand (bestehend aus den Rechtsbegehren und dem diesen Rechtsbegehren zugrunde liegenden Lebenssachverhalt, vgl. BGE 139 III 126 E. 3.2) geändert wird. So stellt eine Änderung oder Erweiterung der Rechtsbegehren eine Klageänderung dar (vgl. Anm. unter Art. 227 Abs. 1 und 2, B., z.B. BGer 4A_439/2014 vom 16.2.2015 E. 5.4.3.1). Nun hat im vorliegenden Fall die Klägerin mit der verlangten Zahlung einer Konventionalstrafe ihre Rechtsbegehren erweitert; sie hat somit eine Klageänderung i.S.v. Art. 227 ZPO vorgenommen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Einreichung des neuen Rechtsbegehrens durch eine Änderung der Umstände – selbst wenn diese durch das Verhalten der Gegenpartei geschaffen wurde – veranlasst wurde, die das Rechtsschutzinteresse an der Feststellungsklage wegfallen liess, da eine Forderungsklage möglich geworden war (zur Subsidiarität der Feststellungsklage s. Anm. unter Art. 88, A.2.). Vielmehr ist das Auftreten neuer Tatsachen oder Beweismittel eine Voraussetzung für die Klageänderung nach dem Aktenschluss (Art. 230 Abs. 1 lit. b ZPO). Da die Klägerin ihre Klage tatsächlich geändert hatte, hätte das BGer prüfen müssen, ob diese Änderung nach Art. 227 ZPO zulässig war.
5 Eine Klageänderung ist insb. nur zulässig, wenn die geänderte Klage nach der gleichen Verfahrensart wie die ursprüngliche Klage zu beurteilen ist (Art. 227 Abs. 1 ZPO). Nun kam aber das BGer im vorliegenden Fall zum Schluss, dass die geänderte Klage im ordentlichen Verfahren zu beurteilen war (oben N 3). Folglich hätte es im Hinblick auf Art. 227 Abs. 1 ZPO prüfen müssen, welche Verfahrensart auf die ursprünglichen Rechtsbegehren anwendbar war: Unterlagen diese dem vereinfachten Verfahren, war die Änderung mangels Identität der anwendbaren Verfahrensart unzulässig.
6 War das ursprüngliche Rechtsbegehren im vereinfachten Verfahren zu beurteilen? Vor der Änderung der Rechtsbegehren hatte die Vermieterin die Feststellung der Nichtigkeit oder Unwirksamkeit der Kündigung und eventualiter deren Aufhebung (Art. 271 OR) beantragt. Die Frage nach der Gültigkeit der Kündigung und der Beendigung eines noch laufenden Mietverhältnisses stand somit im Vordergrund. Der Fall betraf daher den Kündigungsschutz i.S.v. Art. 243 Abs. 2 lit. c, wie diese Bestimmung nach dem oben zitierten Leitentscheid BGE 142 III 402 E. 2.5 ausgelegt wird (vgl. auch BGer 4A_383/2015 vom 7.1.2016 E. 2.1, Anm. ibid. und in Newsletter vom 9.3.2016), auch im Hinblick auf den jüngsten oben zitierten BGE 149. Das eventualiter gestellte Rechtsbegehren, die Kündigung sei aufzuheben, fiel sogar unter den «Kündigungsschutz» stricto sensu (Art. 271 ff. OR). Im vorliegenden Fall wurden diese Anträge jedoch vom Vermieter und nicht vom Mieter gestellt. Ist daraus abzuleiten, dass die Sache nicht mehr den «Kündigungsschutz» i.S.v. Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO betraf?
7 Der «Kündigungsschutz» des materiellen Rechts (vgl. den am Anfang des dritten Abschnitts «Kündigungsschutz bei der Miete von Wohn- und Geschäftsräumen» figurierenden Art. 271 OR) wird auch dem Vermieter gegen eine Kündigung durch den Mieter gewährt (vgl. BSK OR I-Weber Art. 271/271a N 3 m.H.; CR CO-Lachat/Bohnet, 2021, Art. 271 N 4; CPra-Bail-Conod, 2017, Art. 271 N 10). Das materielle Recht anerkennt also nicht nur der Mieterschaft ein Schutzbedürfnis zu. Unbestritten ist auch, dass ein Vermieter die Nichtigkeit oder Unwirksamkeit einer vom Mieter ausgesprochenen Kündigung feststellen lassen kann, insb. um zu verhindern, dass der Mieter die Kündigung vollzieht – im Übrigen scheint im vorliegenden Fall das Rechtsschutzinteresse der Vermieterin an dieser Feststellung vor dem Auszug der Mieterin nicht bestritten worden zu sein (vgl. E. 3.4 des Urteils). Da das Zivilverfahren der Durchsetzung des materiellen Rechts dienen soll (dienende Funktion, vgl. BGE 139 III 457 E. 4.4.3.3, Anm. unter Art. 1, Allgemeines, 1.), wäre es nicht kohärent, die prozessrechtliche Konkretisierung des Kündigungsschutzes, also die Anwendung von Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO, dann auszuschliessen, wenn nicht der Mieter, sondern der Vermieter Kündigungsschutz verlangt.
8 Im Übrigen wird im Kontext der Beendigung eines Mietverhältnisses nach dem Wortlaut von Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO lediglich verlangt, dass die Streitigkeit «den Kündigungsschutz» betrifft, ohne danach zu unterscheiden, welche Vertragspartei sich auf diesen Schutz beruft. Entscheidend ist allein die Rechtsnatur der Streitigkeit (in diesem Sinn: Bem. M. Heinzmann zum oben erwähnten Entscheid TC/VD vom 14.6.2027 [oben N 3] in Newsletter vom 28.2.2018). Zwar spricht die Botschaft (S. 7347) von einer «Ausnahme» von der Streitwertgrenze nach Art. 243 Abs. 1 ZPO «im Kernbereich des Mieterschutzes (Kündigungsschutz und Schutz vor missbräuchlichen Mietzinsen)». Diese Formulierung ist u.E. jedoch nicht entscheidend: Damit wird lediglich der bei weitem häufigste Fall erwähnt, in dem es darum geht, den Mieter vor einer Kündigung durch den Vermieter zu schützen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, dass der Gesetzgeber im umgekehrten Fall die Anwendung der vereinfachten Verfahrensart unabhängig vom Streitwert hätte ausschliessen wollen. Geht es in der Streitigkeit um die Beendigung eines noch laufenden Mietverhältnisses, betrifft sie den Kündigungsschutz; es ist weder zusätzlich zu bestimmen, ob im konkreten Fall eine Partei tatsächlich schutzbedürftig ist, noch ist danach zu unterscheiden, ob der Kündigungsschutz vom Mieter oder vom Vermieter geltend gemacht wird.
9 Es ist zwar anerkannt, dass im sog. sozialen Zivilprozess das vereinfachte Verfahren die sozial schwächere Partei schützen soll. Dabei ist es jedoch unerheblich, ob der Mieter oder der Vermieter die Klägerrolle innehat (vgl. zit. BGE 142 III 690, E. 3. 1, in dem zwar das häufigste Beispiel des Vermieters genannt wird, der die Ausweisung des Mieters oder die Feststellung der Beendigung des Mietverhältnisses verlangt, und nicht das viel seltenere Beispiel, in dem der Vermieter ein noch laufendes Mietverhältnis aufrechterhalten will; dennoch betrifft in diesen beiden Fällen, in denen der Vermieter Kläger ist, die Sache den Kündigungsschutz i.S.v. Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO; auch im vorliegenden Urteil wird das Gegenteil nicht behauptet, vgl. unten N 10). Ist das vereinfachte Verfahren anwendbar, kommt dieses zudem beiden Parteien und nicht nur der sog. schwächeren Partei zugute. Weshalb bei einer Klage, deren Rechtsnatur an sich dem Kündigungsschutz nach Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO entspricht, die Anwendung des vereinfachten Verfahren mit der Begründung ausgeschlossen werden soll, dass dieser Schutz von der als stark geltenden Partei (Vermieter) und nicht vom Mieter geltend gemacht wird, ist daher nicht einzusehen. Vielmehr ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Streitigkeit eine der von Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO erfassten Angelegenheiten betrifft.
10 Im Übrigen bedeutet der Umstand, dass ein Mieter keinen Kündigungsschutz benötigt, da er die Kündigung selbst ausgesprochen hat, noch nicht, dass er keinen verfahrensrechtlichen Schutz braucht, wenn diese Kündigung vom Vermieter angefochten wird, oder dass der Vermieter nicht selbst einen derartigen Schutz beanspruchen kann, wenn er eine vom Mieter ausgesprochene Kündigung als Hauptfrage und vor Ende des Mietverhältnisses anficht. Das vom BGer hervorgehobene Kriterium (oben N 3), nämlich das Bedürfnis des Mieters nach Kündigungsschutz, erscheint uns daher als nicht ganz entscheidend. Es drängt sich zwar auf, das vereinfachte Verfahren anzuwenden, wenn der Mieter Gefahr läuft, die gemieteten Räumlichkeiten gegen seinen Willen verlassen zu müssen; das Fehlen einer solchen Gefahr genügt jedoch nicht, um diese Verfahrensart auszuschliessen, wenn die Rechtsnatur der Streitigkeit darüber hinaus den «Kündigungsschutz» betrifft, den das materielle Recht nicht auf den alleinigen Schutz des Mieters beschränkt (oben N 7). Im Weiteren hat sich das BGer im vorliegenden Fall nicht dazu geäussert, welche Verfahrensart im Zeitpunkt galt, als der Mieter den Mietvertrag kündigte, aber die Räumlichkeiten noch nicht verlassen hatte, d.h. als sich die Frage der Beendigung des Mietverhältnisses als Hauptfrage stellte (oben N 3).
11 Daraus ergibt sich u.E., dass bis zum Auszug der Mieterin und der Änderung des Rechtsbegehrens der Vermieterin das vereinfachte Verfahren anwendbar war. Da die Klage tatsächlich geändert wurde (oben N 4), war Art. 227 ZPO auch anwendbar. Daraus folgt, dass das neue Rechtsbegehren, das im ordentlichen Verfahren zu beurteilen war (oben N 3), mangels Identität der anwendbaren Verfahrensart nicht zulässig war (Art. 227 Abs. 1 ZPO). Da die Vermieterin nach dem Auszug der Mieterin und dem zusätzlichen Rechtsbegehren auf Zahlung ihr Rechtsschutzinteresse an der ursprünglichen Feststellungsklage zudem verloren hatte, hätte der Richter das Verfahren als gegenstandslos abschreiben müssen (Art. 242 ZPO, der dann gilt, wenn die Klage ursprünglich einem Rechtsschutzinteresse i.S.v. Art. 59 Abs. 2 lit. a ZPO entspricht, dieses Interesse aber im Verlauf des Prozesses wegfällt: vgl. BGE 146 III 416 E. 7.4 und BGer 4A_226/2016 vom 20.10.2016 E. 5, Anm. unter Art. 59 Abs. 2 lit. a, 1.a. und in Newsletter vom 11.1.2017), wobei er die Kosten des Verfahrens nach Art. 107 Abs. 2 lit. e ZPO hätte verteilen können. Da der Abschreibung nach Art. 242 ZPO ebenso wenig materielle Rechtskraft zukommt wie dem Nichteintretensentscheid betreffend die geänderte Klage (BGer 5A_717/2020 vom 2.6.2021 E. 5.3.1, Anm. unter Art. 242, B.3.), hätte den Vermieter nichts daran gehindert, sein Zahlungsbegehren in einem neuen, im ordentlichen Verfahren geführten Prozess zu stellen, der auf dem gleichen Lebenssachverhalt beruht wie das vorangegangene Verfahren.
Zitationsvorschlag:
F. Bastons Bulletti in Newsletter ZPO Online 2024-N7, Rz…