Die Ausnahme vom Erfordernis der gleichen Verfahrensart gemäss Art. 224 Abs. 1 ZPO ist nicht auf den Fall einer echten Teilklage beschränkt, sondern gilt allgemein dann, wenn die Teilklage eine Ungewissheit zur Folge hat, die es rechtfertigt, i.S:v. Art. 88 ZPO die Feststellung des Nichtbestands einer Forderung oder eines Rechtsverhältnisses zu verlangen. (E. 2.4) Dies ist offensichtlich dann der Fall, wenn der Kläger behauptet, es stehe ihm eine „Gesamtforderung aus Überzeitentschädigungen aus den Jahren 2014, 2015 und 2016 im Umfang von CHF 51’850.-“ zu, jedoch unter ausdrücklichen Nachklagevorbehalt lediglich die Überzeitentschädigung für das Jahr 2016 im Umfang von Fr. 14’981.25 einklagt. In dieser Situation muss es dem Beklagten möglich sein, mittels negativer Feststellungswiderklage auch die Überzeitentschädigung aus den Jahren 2014 und 2015 im selben Verfahren zur Beurteilung zu bringen, gerade weil sich die Frage der Kompensation von Überzeit aus den Vorjahren stellt. Ob die Entschädigung für die während eines bestimmten Kalenderjahrs angeblich geleistete Überzeit einen selbständigen Streitgegenstand darstellt, ist nicht entscheidend.
2019-N21 – Teilklage: noch eine Teilantwort des BGer
Bem. F. Bastons Bulletti / Michel Heinzmann
1 Eine Arbeitnehmerin reicht gegen ihren Arbeitgeber eine Klage auf Zahlung eines etwas unter CHF 15’000.- liegenden Betrags ein, die sie als Teilklage bezeichnet. Sie behauptet, es stehe ihr eine Gesamtforderung für Überzeitentschädigung von rund CHF 52’000.- aus den Jahren 2014, 2015 und 2016 zu; allerdings bezieht sich ihre Klage einzig auf die Forderung für Überzeitentschädigung für das Jahr 2016. Der Beklagte reicht seinerseits eine Widerklage auf Feststellung ein, dass er überhaupt keine Überzeitentschädigung schuldet. Das erstinstanzliche Gericht und das Obergericht treten auf die Widerklage nicht ein und weisen das Gesuch des Beklagten auf Überweisung der Klage ins ordentliche Verfahren ab. Das BGer heisst die Beschwerde des Widerklägers gut.
2 Die kantonalen Instanzen haben die Hauptklage als unechte Teilklage qualifiziert. Sie wiesen darauf hin, die Widerklage müsse gemäss Art. 224 Abs. 1 ZPO nach der gleichen Verfahrensart wie die Hauptklage beurteilt werden, und stellten fest, dass diese Voraussetzung nicht erfüllt sei, denn die Hauptklage unterlag aufgrund ihres Streitwerts dem vereinfachten Verfahren, während die Widerklage im ordentlichen Verfahren zu beurteilen war. Sie gingen davon aus, dass die in BGE 143 III 506 E. 4.3.1 begründete Ausnahme von der obenerwähnten Voraussetzung (Art. 224 Abs. 1 ZPO) für den Fall, dass die Haupt- und die Widerklage aufgrund ihres jeweiligen Streitwerts nicht der gleichen Verfahrensart unterliegen, einzig für die auf eine echte Teilklage eingereichte negative Feststellungswiderklage gelte. Demgegenüber entscheidet das BGer, diese Ausnahme müsse immer dann gelten, wenn für die negative Feststellungswiderklage als Antwort auf eine Teilklage ein Rechtsschutzinteresse gegeben sei. Dabei sei unerheblich, ob es sich um eine echte oder um eine unechte Teilklage handelt.
3 Eine unechte Teilklage liegt vor, wenn dem Kläger gestützt auf demselben Sachverhalt mehrere Ansprüche zustehen und er sich entscheidet, nur einen (Teil) dieser Ansprüche geltend zu machen. Die Teilklage ist hingegen echt, wenn der Kläger nur einen Teil eines Anspruchs geltend macht und den Rest – ausdrücklich oder nicht – vorbehält. Somit ist das Thema einer echten Teilklage ein einziger Streitgegenstand (BGer 4A_366/2017 vom 17.5.2018 E. 5.2, Anm. unter Art. 86, A.a.) i.S. der zweigliedrigen Streitgegenstandstheorie (die in BGE 139 III 126 E. 3.2.3 [vgl. Anm. unter Art. 59 Abs. 2 lit. e, 4.a. und unter Art. 59 Abs. 2 lit. d, 2.a.] und 142 III 210 E. 2.1 gefestigt wurde und demzufolge der Streitgegenstand aus dem Rechtsbegehren und dem behaupteten Lebenssachverhalt besteht). Dagegen setzt die unechte Teilklage das Vorliegen mehrerer Streitgegenstände voraus, die der Kläger jedoch nicht allesamt geltend macht. Der Kläger behält sich – ausdrücklich oder nicht – weitere Ansprüche vor.
4 Häufig reicht der Beklagte als Reaktion auf eine Teilklage eine Widerklage auf Feststellung des Nichtbestehens des ganzen Anspruchs bzw. sämtlicher Ansprüche des Klägers ein. Gemäss Art. 224 Abs. 1 ZPO ist die Widerklage u.a. nur dann zulässig, wenn sie nach der gleichen Verfahrensart wie die Hauptklage zu beurteilen ist. In BGE 143 III 506 E. 4 (vgl. Anm. unter Art. 224, B., und unter Art. 86, B.) hielt das BGer jedoch in Abweichung vom Gesetzestext fest, dass eine auf das Nichtbestehen des gesamten Anspruchs abzielende negative Feststellungswiderklage auch dann zulässig ist, wenn sie aufgrund ihres Streitwerts einer anderen Verfahrensart unterliegt als diejenige, nach welcher die Hauptteilklage zu beurteilen ist. Dieser Entscheid bezog sich allerdings ausdrücklich nur auf die echte Teilklage.
5 Im vorliegenden Urteil dehnt das BGer die Tragweite seine Rechtsprechung aus: Die negative Feststellungswiderklage ist nunmehr unabhängig davon, ob es sich um eine echte oder unechte Teilklage handelt, ungeachtet der in Art. 224 Abs. 1 ZPO vorgesehenen Voraussetzung der Identität der massgebenden Verfahrensarten zulässig. Daher erübrigt es sich zu bestimmen, ob die vorbehaltenen Ansprüche einen anderen Streitgegenstand bilden als derjenige, der in der Teilklage geltend gemacht wurde. Die heikle Frage nach der konkreten Umschreibung des Streitgegenstandes wird auf diese Weise elegant umschifft.
6 Im Urteil wird jedoch auf die Voraussetzung des Rechtsschutzinteresses an der negativen Feststellungswiderklage hingewiesen und näher darauf eingegangen.
6a Bei der Feststellungsklage ist die Prozessvoraussetzung des Rechtsschutzinteresses (Art. 59 Abs. 2 lit. a ZPO) nicht ohne weiteres gegeben (vgl. Anm. unter Art. 88, A.; auch Bem. M. Heinzmann in Newsletter vom 24.5.2018 [BGer 4A_417/2017* vom 14.3.2018 E. 5.2 – 5.4]). Einerseits müssen die Rechtsbeziehungen der Parteien ungewiss sein und die Fortdauer der Ungewissheit darf dem Kläger nicht mehr zugemutet werden, weil sie ihn in seiner Bewegungsfreiheit behindert. Da eine negative Feststellungsklage den Beklagten zwingt, das Vorliegen seines Anspruches in einem Zeitpunkt zu behaupten und zu beweisen, den er nicht gewählt hat und der für ihn nicht unbedingt günstig ist, gilt es zudem das Interesse des Beklagten zu berücksichtigen (vgl. Anm. unter Art. 88, A.1., insb. BGE 141 III 68 E. 2.3 m.H.). Aus der früheren Rechtsprechung ergibt sich, dass dem Feststellungsinteresse in der Regel dann der Vorrang gegenüber dem Interesse der Gegenpartei zukommen muss, wenn diese durch eine Betreibung, durch die Androhung einer Klageeinreichung oder durch eine echte Teilklage den Kläger unter Druck gesetzt hat (vgl. zit. Bem. M. Heinzmann; auch Anm. unter Art. 88, A.3., insb. zit. BGE 141, E. 2.7 und BGE 144 III 175 E. 5.4).
6b Wird mit der negativen Feststellungswiderklage auf eine echte Teilklage reagiert, ist – wie das BGer festhält (E. 2.3 i.f.) – die Voraussetzung des Rechtsschutzinteresses offensichtlich erfüllt. Denn « die Erhebung einer Leistungsklage [bedeutet] die Anmassung nicht nur des eingeklagten Teilanspruchs selbst, sondern zugleich des gesamten Forderungsrechts als deren notwendige Grundlage und deshalb [wird] die Beklagte in diesem vollen Umfang durch die gegen sie erhobene Klage in ihrer Privatrechtssphäre beeinträchtigt“ (BGE 143 III 506 c. 4.3.1 m.H.). U.E. ist diese Auffassung jedoch zu nuancieren. Einerseits besteht das Rechtsschutzinteresse nur für den Teil des Anspruches, der nicht direkt von der Teilklage erfasst ist. Für den mit der Teilklage verlangten Teil genügt ein blosser Abweisungsantrag (vgl. BGer 4A_80/2013 vom 30.7.2013 E. 6.4, Anm. unter Art. 88, A.3.). Andererseits hat der Widerkläger nur dann ein Rechtsschutzinteresse, wenn die Teilklage vollständig gutgeheissen wird (vgl. Bem. M. Heinzmann in Newsletter vom 5.10.2017). Denn bei einer vollständigen oder partiellen Abweisung der Teilklage enthält der Entscheid die rechtskräftige Feststellung, dass der Rest des Anspruches des Erstklägers nicht besteht (in diesem Sinn: BGer 4A_194/2012 vom 20.7.2012 E. 1.5, ibidem). Daher ist die Widerklage nur eventuell zu erheben (Eventualwiderklage), nämlich für den Fall, dass die Teilklage vollständig gutgeheissen wird.
6c Hingegen ist bei einer unechten Teilklage das Interesse des Beklagten auf negative Feststellung sämtlicher Ansprüche des Klägers weniger klar. Der Widerkläger hat dann ein genügendes Rechtsschutzinteresse, wenn auch in Bezug auf die Ansprüche, die einen anderen Streitgegenstand bilden und vom Hauptkläger vorbehalten wurden, eine qualifizierte Ungewissheit vorliegt, deren Fortdauer ihm nicht zuzumuten ist ; zudem sind auch hier die Interessen des Erstklägers zu berücksichtigen, der den Prozess auch über Ansprüche führen müssen wird, die er dem Richter nicht (sofort) unterbreiten wollte. Dies setzt u.E. voraus, dass die verschiedenen Ansprüche des Erstklägers, obwohl sie mit Blick auf die zweigliedrige Theorie (oben N 3) unterschiedliche Streitgegenstände bilden, interdependent sind, sodass letztlich auch die vorbehaltenen Ansprüche indirekt auf dem Spiel stehen. Diesfalls hat der Widerkläger ein genügendes und überwiegendes Interesse daran, dass deren Bestand gleichzeitig und in einem einzigen Entscheid beurteilt wird. Dieses Interesse ist jedenfalls dann gegeben, wenn das Risiko sich widersprechender Entscheide bei Ausbleiben eines Gesamtentscheids droht, m.a.W. wenn es sich im Kern bei sämtlichen Ansprüchen des Hauptklägers um dieselbe Frage dreht. So verhielt es sich denn auch im vorliegenden Fall: Dem Urteil (E. 2.4) und noch klarer dem angefochtenen Entscheid (OGer/ZH du 27.11.2018, LA180016-O/U) ist zu entnehmen, dass die Berechnung der Überzeitentschädigung für das geltend gemachte Kalenderjahr davon abhing, wie viel Überzeit in den Vorjahren geleistet und in der Folge kompensiert worden war.
7 Bleibt noch die Begründung des Urteils in Bezug auf die Ausnahme der in Art. 224 Abs. 1 ZPO vorgesehenen Voraussetzung der Identität der Verfahrensarten zu untersuchen. Im Gegensatz zu dem was das BGer in BGE 143 III 506 E. 4 betonte, kann hier nicht gesagt werden, die negative Feststellungswiderklage beziehe sich auf den gleichen Streitgegenstand (i.e. „den umstrittenen Anspruch der klagenden Partei in seinem gesamten Betrag“) wie die Teilklage, sodass sie „keine gewöhnliche Widerklage“ i.S.v. Art. 224 Abs. 1 ZPO sei. Eine Widerklage, die alle Ansprüche des Hauptklägers betrifft, und zwar auch jene, die in der Teilklage nicht vorgebracht wurden, erfasst zweifelsohne einen oder mehrere andere Streitgegenstände.
7a Das Urteil enthält keine detaillierte Begründung für die gewählte Lösung, ausser die Aussage, dass es dem Beklagten, der ein Interesse (vgl. E. 6c) an der negativen Feststellungsklage hat, „möglich sein [muss]“, interdependente Fragen im selben Verfahren beurteilen zu lassen, und zwar unabhängig davon, ob diese selbständige Streitgegenstände betreffen oder nicht (E. 2.4). Das BGer gibt nicht näher an, inwiefern dem Beklagten nicht zuzumuten ist, seine negative Feststellungsklage in einem separaten Verfahren einzureichen, wenn diese nicht der gleichen Verfahrensart wie die Teilklage unterliegt. Allerdings lassen sich seine Überlegungen unter Berücksichtigung des zuvor ergangenen Grundsatzurteils (zit. BGE 143) erkennen.
7b Auch wenn die negative Feststellungswiderklage nicht den gleichen Streitgegenstand wie die Teilklage betrifft, bezieht sie sich, wie wenn sie als Reaktion auf eine echte Teilklage eingereicht wird, auf Ansprüche des Erstklägers. Im zit. BGE 143 (E. 4.3.3) führte das BGer aus, dass dieses Element bei der Berechnung des Streitwerts massgebend sei: Dreht sich die Widerklage um Ansprüche des Hauptklägers, stellt man nicht etwa auf Art. 54 Abs. 1 BGG ab, welcher – wie Art. 94 ZPO – vorsieht, dass der Streitwert der Widerklage und der Hauptklage nicht zusammengerechnet werden. Vielmehr wird der Streitwert wie im Fall einer Klagenhäufung berechnet (Art. 52 BGG; Art. 93 Abs. 1 ZPO). Die Ansprüche des Erstklägers und des Widerklägers werden addiert, sofern sie sich nicht gegenseitig ausschliessen (BGer 4A_493/2014 vom 26.1.2015 E. 1.1.2; 4A_181/2009 vom 20.7.2009 E. 1.1; BGE 102 II 394 E. 1 m.H.). Infolge dieser Berechnung ist die Voraussetzung der Identität der Verfahrensarten stets erfüllt, wenn die massgebende Verfahrensart vom Streitwert abhängt. Weiter betonte das BGer im zit. BGE 143, dass der Beklagte und Widerkläger in einer Teilklage „den umstrittenen Anspruch der klagenden Partei in seinem gesamten Betrag zum Gegenstand des hängigen Verfahrens machen will“ und kam „unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zur Streitwertberechnung im bundesgerichtlichen Verfahren“ zum Schluss, dass Art. 224 Abs. 1 ZPO einer als Reaktion auf eine Teilklage eingereichten negativen Feststellungswiderklage nicht entgegensteht. Mit Blick auf diese Überlegungen ist nachvollziehbar, dass das BGer im vorliegenden Urteil die gewählte Lösung nicht eingehend begründet hat. Diese drängt sich nämlich auch dann auf, wenn die Widerklage nicht denselben Streitgegenstand wie die Teilklage betrifft. Allerdings ist der gewählte Ansatz auf jene Fälle beschränkt, in denen die Teil- und Widerklage einzig aufgrund ihrer Streitwerte nicht der gleichen Verfahrensart unterliegen. Die vom Bundesgericht formulierte Ausnahme von Art. 224 Abs. 1 ZPO ist insofern nur indirekt, als sie sich einzig aus der Art der Streitwertberechnung ergibt. Die Lösung kann somit nicht gelten, wenn die Verfahrensart von der Natur der Streitsache abhängt.
7c Allerdings gibt es Hinweise, dass das BGer im vorliegenden Urteil vielleicht nicht nur auf die obenerwähnten Überlegungen abstellte. Einerseits ergibt sich das Rechtsschutzinteresse – wie bereits dargelegt (N 6c) – bei einer negativen Feststellungswiderklage als Reaktion auf eine unechte Teilklage aus der Interdependenz zwischen den vom Kläger in der Teilklage geltend gemachten und den vorbehaltenen Ansprüchen. Andererseits weist das BGer – zwar obiter – darauf hin, dass das Interesse des Widerklägers bei einer echten Teilklage feststeht, zumal er „den Streitgegenstand nicht anderweitig rechtshängig machen kann“. In diesen beiden Elementen kann ein Hinweis auf die sog. Kernpunkttheorie erblickt werden. Diese fördert eine gesamthafte Erledigung des Rechtsstreites der Parteien. Sie ist näher zu untersuchen.
8 Gemäss Kernpunkttheorie (die das BGer in Bezug auf die örtliche Zuständigkeit auch im innerstaatlichen Recht übernommen hat : BGE 128 III 284 E. 3b/bb ; BGE 138 III 570 E. 4.2.2., Anm. unter Art. 59 Abs. 2 lit. d, 2b ; auch BGer 5A_223/2016 vom 28.7.2016 E. 5.1.1.2 m.H.), sind zwei Streitgegenstände dann identisch, wenn sich im Kern die gleiche Rechtsfrage stellt, sodass die Gefahr widersprüchlicher Entscheide vorliegt. Damit wird der Begriff des Streitgegenstandes weiter gefasst als jener, der sich aus der zweigliedrigen Streitgegenstandstheorie ergibt. Jedoch gilt dieser weite Begriff nur bei der Prüfung der (negativen) Eintretensvoraussetzung der Rechtshängigkeit (Art. 59 Abs. 2 lit. d ZPO). Zudem kommt ihm in diesem Rahmen nicht die gleiche Tragweite zu wie dem Begriff des zweigliedrigen Streitgegenstandes (N 3 oben): Anders als eine Klage, deren Streitgegenstand mit jenem einer bereits rechtshängigen Klage im Sinne der Theorie des zweigliedrigen Streitgegenstandes identisch ist, ist eine Klage, deren Streitgegenstand nur im Sinne der Kernpunkttheorie identisch ist, nicht grundsätzlich unzulässig. Die von einer im Sinne dieser Theorie identischen Klage begründete vorherige Rechtshängigkeit wirkt sich einzig derart aus, dass die zweite Klage nur vor dem mit der ersten Klage befassten Gericht eingereicht werden kann. Somit hat die Kernpunkttheorie eine Kompetenzattraktion zugunsten dieses Gerichts zur Folge, welche auf die Vermeidung widersprüchlicher Entscheide abzielt. Die zweite Klage ist deshalb nur dann unzulässig, wenn sie nicht beim bereits angerufenen Gericht eingereicht wird. Das BGer hat die Theorie bisher lediglich mit Blick auf den Gerichtsstand angewandt. Mit M. Sogo (Widerklage in handelsrechtlichen Streitigkeiten: Kernpunkttheorie und Erfordernis der gleichen sachlichen Zuständigkeit, ZBJV 147/2011, S. 937 ff.) ist freilich davon auszugehen, dass das Ziel, widersprüchliche Entscheide zu vermeiden, impliziert, dass auch für die materielle Zuständigkeit eine Kompetenzattraktion erfolgt. Darüber hinaus kann das obenerwähnte Ziel nur erreicht werden, wenn über die zweite Klage im gleichen Verfahren befunden wird (M. Heinzmann, Gedanken zur Kombination von Streitgegenständen, ZSR 2012, 471 ff.). Somit kann der Beklagte seinen Anspruch einzig in Form einer Widerklage geltend machen.
9 Im hier erörterten Fall führt die Anwendung der Kernpunkttheorie dazu, dass jede bei einem anderen Gericht oder in einem anderen Verfahren eingereichte Klage des Beklagten unzulässig ist, wenn es im Kern um die gleiche Frage wie bei der Teilklage geht. Daher kann der Beklagte, solange die Teilklage rechtshängig ist, einzig mittels Widerklage Anträge formulieren, die mit jenen des Klägers interdependent sind. Wahrscheinlich weist das BGer auf diesen Aspekt hin, wenn es ausführt (E. 2.3 i.f., N 7c oben), dass die Rechtshängigkeit einer echten Teilklage den Beklagten daran hindert, anderweitig auf negative Feststellung zu klagen. Gleiches gilt für den Beklagten bei einer unechten Teilklage, wenn er über ein Interesse an der negativen Feststellung sämtlicher Ansprüche des Erstklägers verfügt. Denn dieses Interesse setzt voraus, das die fraglichen Ansprüche mit jenem, der in der Teilklage geltend gemacht wird (N 6c oben), interdependent sind, mithin dass diese im Sinne der Kernpunkttheorie identisch sind. In all diesen Fällen würde eine mit Art. 224 Abs. 1 ZPO begründete Unzulässigkeit der Widerklage für die ganze Dauer der Rechtshängigkeit der Teilklage den verfassungsmässig garantierten Zugang zum Gericht verletzen (Art. 29 BV ; Art. 6 § 1 EMRK). Daher muss die in Art. 224 Abs. 1 ZPO aufgestellte Voraussetzung zurücktreten und die Widerklage des Beklagten auch dann zulässig sein, wenn sie nicht der gleichen Verfahrensart wie der Hauptklage unterliegt.
10 Die im vorliegenden Fall für die Zulässigkeit der negativen Feststellungswiderklage der mit einer Teilklage konfrontierten beklagten Partei gewählte Lösung geht somit – zumindest wenn die Teil- und Widerklage aufgrund ihres Streitwerts nicht der gleichen Verfahrensart unterliegen – in die gleiche Richtung wie eine Anwendung der Kernpunkttheorie.
11 Die Tragweite des vorliegenden Urteils ist noch zu prüfen. Ist die Widerklage trotz der in Art. 224 Abs. 1 ZPO aufgestellten Voraussetzung der gleichen Verfahrensart zulässig,
11a – wenn sie nicht aufgrund ihres Streitwerts, sondern wegen der Natur der Streitsache nach einer anderen Verfahrensart zu beurteilen ist ? Diesfalls gilt die hier und in BGE 143 III 506 E. 4 gewählte Lösung auf den ersten Blick nicht. Stellt man nämlich auf die im zit. BGE 143 angegebene Begründung ab (oben N 7b), steht 224 Abs. 1 ZPO der Zulässigkeit der Widerklage dann entgegen, wenn die unterschiedliche Verfahrensart auf die Natur der Streitsache zurückzuführen ist. Demzufolge könnte der Kläger nur eine selbständige negative Feststellungsklage einreichen. Gemäss Kernpunkttheorie wird die Einreichung einer solchen Klage allerdings verhindert, wenn die gleiche Frage im Kern der beiden Verfahren liegt. Genau das trifft nun aber auf die negative Feststellungswiderklage zu, denn sonst wäre diese bereits mangels genügendem Rechtschutzinteresses an der Feststellung (oben N 6c) unzulässig. Die Problematik dürfte allerdings kaum eine praktische Relevanz haben, denn wenn die gleiche Frage im Kern beider Klagen liegt, sind diese meistens gleicher Natur und daher nach der gleichen Verfahrensart zu beurteilen. Wäre dem ausnahmsweise nicht so, müsste u.E. auch von der in Art. 224 Abs. 1 ZPO aufgestellten Voraussetzung abgesehen und dem Beklagten erlaubt werden, im vom Kläger durch Teilklage eingeleiteten Verfahren Widerklage einzureichen, damit sein Justizgewährungsanspruch gewahrt bleibt.
11b – wenn der Widerkläger neben seinem Antrag auf negative Feststellung sämtlicher Ansprüche des Erstklägers eigene Ansprüche (auf Leistung, auf Gestaltung oder sogar auf Feststellung) geltend macht ? Hält man sich an die Überlegungen des BGer im zit. BGE 143, rechtfertigt es sich auch hier nicht, Art. 224 Abs. 1 ZPO mittels Berechnung des Streitwerts (N 7b) zu umzugehen. Es besteht diesfalls insoweit kein Grund, den Streitwert der Widerklage und jenen der Teilklage zusammenzurechnen als sich diese Klagen auf Ansprüche beziehen deren – angeblicher – Inhaber nicht der Erstkläger ist.
11ba Allerdings ist hervorzuheben, dass der Kläger in dieser Konstellation – zumindest formell – eine Klagenhäufung i.S.v. Art. 90 ZPO vornimmt. Bei der Prüfung der Voraussetzungen der Zulässigkeit der Klagenhäufung – nämlich der gleichen materiellen Zuständigkeit und der gleichen Verfahrensart (vgl. Art. 90 ZPO) – werden die Streitwerte in einem ersten Schritt zusammengerechnet (Art. 93 Abs. 1 ZPO; BGE 142 III 788 E. 4.2.2 – 4.2.4, Bem. M. Heinzmann in Newsletter vom 11.1.2017 ; zum Fall, in dem die Verfahrensart nicht vom Streitwert abhängt, vgl. M. Heinzmann, Verfahrensüberschreitende Klagenhäufung?, SZZP 2012, 269 ff.). Hängt die anwendbare Verfahrensart vom Streitwert ab, ist die Häufung zulässig. Soweit die in Art. 224 Abs. 1 ZPO aufgestellte Voraussetzung (Identität der für die Teilklage und für die Widerklage massgebenden Verfahrensart; N 7b oben) bei einer negativen Feststellungswiderklage nicht gilt, könnte man den Standpunkt vertreten, alle gültig gehäuften Rechtsbegehren in der Widerklage seien unabhängig vom Inhaber der entsprechenden Ansprüche und der darauf anwendbaren Verfahrensart zulässig. Allerdings könnte das BGer in diesem Fall seine vor dem Inkrafttreten der ZPO ergangene Rechtsprechung (BGE 56 II 61 und BGE 102 II 394 E. 1; vgl. Anm. unter Art. 90, A.) analog anwenden und zwischen den in der Widerklage angerufenen Ansprüchen unterscheiden: Einzig die Rechtsbegehren der Widerklage, die sich auf Ansprüche des Erstklägers beziehen, d.h. die Rechtsbegehren auf negative Feststellung, wären zulässig. Seine eigenen Ansprüche müsste der Widerkläger in einem separaten Verfahren geltend machen.
11bb Auch hier ist u.E. allerdings der Fall vorzubehalten, dass die eigenen Ansprüche des Widerklägers mit den (in der Teilklage oder in der Widerklage umfassten) Ansprüchen des Erstklägers im Sinne der Kernpunkttheorie interdependent sind, sodass die Gefahr widersprüchlicher Entscheide droht. Da eine selbständige Klage ausgeschlossen ist (N 9), ist davon auszugehen, dass der Beklagte, dessen Zugang zu einem Gericht während der Rechtshängigkeit der Teil- und Widerklage nicht gehemmt werden darf, ans bereits mit der Teilklage und der Widerklage befasste Gericht gelangen und seine eigene Ansprüche in demselben Verfahren geltend machen kann.
11c – wenn der Widerkläger (in einer Leistungs-, Gestaltungs- oder sogar Feststellungswiderklage) einzig seine eigenen Ansprüche geltend macht ? Die Widerklage bezieht sich hier nicht auf die Ansprüche des Erstklägers – und nicht einmal auf jene, die dieser vorbehalten hat – sondern ausschliesslich auf die eigenen Ansprüche des Widerklägers. Dieser Unterschied rechtfertigt eine von der im vorliegenden Urteil gewählten Lösung abweichende Behandlung. Sind die eigenen Ansprüche nach einer anderen Verfahrensart als die Hauptteilklage zu beurteilen, muss der Beklagte diese in der Regel in einem selbständigen Verfahren geltend machen. Art. 224 Abs. 1 ZPO kommt vollumfänglich zur Anwendung. U.E. verhält es sich jedoch dann anders, wenn die eigenen Ansprüche des Widerklägers mit jenen des Hauptklägers derart zusammenhangen, dass die Gefahr widersprüchlicher Entscheide droht. Auch in diesem Fall muss die für die vorgenannten Fälle mit Blick auf die Kernpunkttheorie (oben N 11a und 11bb) befürwortete Lösung Anwendung finden.
11d – wenn mit der Widerklage nicht auf eine Teilklage, sondern auf eine klassische Klage reagiert wird ? In BGE 143 III 506 E. 3.2 hielt das BGer fest, dass das Erfordernis der identischen Verfahrensart (Art. 224 Abs. 1 ZPO) auch dann gilt, wenn der Unterschied in der massgebenden Verfahrensarten auf den jeweiligen Streitwert der Haupt- und der Widerklage zurückzuführen ist. Davon abgesehen hat es aus den bereits aufgeführten Gründen (vgl. N 7b) einzig in Bezug auf die negative Feststellungswiderklage als Reaktion auf eine echte Teilklage (vgl. zit. BGE 143, E. 4). Im hier diskutierten Urteil hält es fest, dass sich diese Abweichung auch bei einer unechten Teilklage rechtfertigen kann. Nun stellt die unechte Teilklage gerade keine Teilklage, sondern eine klassische Klage dar. Der Kläger verzichtet bloss auf eine Klagenhäufung (vgl. N. 3 i.f.). Stellt die Identität der massgebenden Verfahrensart keine Voraussetzung für die Zulässigkeit einer negativen Feststellungswiderklage als Reaktion auf eine unechte Teilklage dar – zumindest dann, wenn diese Widerklage einem Rechtsschutzinteresse entspricht, d.h., wenn Ansprüche betroffen sind, die mit der Teilklage interdependent sind -, muss gleiches für jede Widerklage gelten, die auf die negative Feststellung sämtlicher Ansprüche des Hauptklägers abzielt, und zwar auch dann, wenn dieser diese Ansprüche nur stillschweigend vorbehalten hat. Zwar ist eine Widerklage selbstverständlich mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig, wenn der Kläger neben den mit seiner Klage geltend gemachten Ansprüchen keine anderen strittigen Ansprüche hat. Diesfalls genügt es, auf Abweisung der Klage zu schliessen. Hingegen ist u.E. davon auszugehen, dass sich die Abweichung von der Voraussetzung der identischen Verfahrensarten auf jede Widerklage erstreckt, die auf die negative Feststellung sämtlicher Ansprüche des Erstklägers lautet – sofern eine genügendes Rechtsschutzinteresse gegeben ist -, und zwar auch wenn die Teilklage verdeckt ist.
12 Dem kommentierten Urteil ist im Ergebnis beizupflichten. Einerseits wird den Parteien und den Gerichten erneut die bisweilen heikle Aufgabe erspart, den Streitgegenstand nach der zweigliedrigen Streitgegenstandstheorie konkret zu bestimmen (vgl. BGE 144 III 452 betreffend die Häufung von Ansprüchen in einer Teilklage, Anm. unter Art. 86, A.b. und Newsletter vom 4.10.2018). Indem die Widerklage auf negative Feststellung der Ansprüche des Erstklägers erleichtert wird, wird dem Beklagten andererseits ein legitimes Verteidigungsmittel zur Verfügung gestellt und die Gefahr widersprüchlicher Entscheide reduziert. Zudem kann in dieser Lösung ein angemessener Ausgleich zur Rechtsprechung auf welche eben hingewiesen wurde (vgl. zit. BGE 144) erblickt werden, welche die Geltendmachung der Teilklage erheblich erleichtert. Die Anwendung der Kernpunktheorie könnte für eine bessere Koordination herangezogen werden ; sie erscheint in Zukunft nicht ausgeschlossen zu sein.
Zitationsvorschlag:
F. Bastons Bulletti in Newsletter ZPO Online 2019-N21, Rz…