(Gegen drei von vier Mitvermietern gerichtete Klage auf Anfechtung der Kündigung) Aufgrund besonderer Umstände hat das BGer ausnahmsweise einen Rechtsmissbrauch seitens einer Vermieterpartei anerkannt, die eine fehlende Passivlegitimation geltend gemacht hatte, weil nur einer der beiden notwendigen Streitgenossen im Verfahren beigezogen worden war (BGer 4A_570/2018 vom 31.7.2019 E. 3.5 n.v. in BGE 145 III 281; 4A_484/2019 vom 29.4.2020 E. 4.4.2). (E. 5.2.2) Im vorliegenden Fall lässt das nach dem Vertrauensprinzip ausgelegte Mietvertrags-Kündigungsformular, obwohl es nur die Initialen der Mitvermieter enthält, erkennen, dass die Kündigung des Mietvertrags von vier verschiedenen Personen ausgeht. Somit hätte die nur gegen drei der Vermieter gerichtete Klage normalerweise mangels Passivlegitimation abgewiesen werden müssen, wobei das Fehlen der Passivlegitimation grundsätzlich nicht [gemäss Art. 132 ZPO, unter Annahme einer unrichtigen Bezeichnung der Beklagten] hätte berichtigt werden können. (E. 5.2.3) Die ganz besonderen Umstände des vorliegenden Falles gebieten es jedoch, ausnahmsweise davon auszugehen, dass die Vermieter sich in casu missbräuchlicherweise auf das Konzept der notwendigen Streitgenossenschaft sowie auf ihre fehlende Passivlegitimation berufen: Sie haben die Mieter nie über die Entwicklung der Inhaberschaft der Vermieterrechte nach der Übertragung des Eigentums an der betreffenden Liegenschaft informiert, und sie auch nicht über das Vorliegen einer Nutzniessung [zugunsten des in der Klage nicht erwähnten Streitgenossen] in Kenntnis gesetzt. Darüber hinaus ist der Name der Nutzniesserin nicht im online frei zugänglichen Grundbuchauszug enthalten. Die Angaben der Vermieterschaft auf dem Kündigungsformular waren zudem unvollständig, da deren Vornamen nicht aufgeführt waren. Die Vermieter können daher nicht von den lückenhaften Informationen profitieren, die sie den Mietern mitgeteilt haben. Da ihnen das Vorliegen einer Nutzniessung in keiner Art und Weise mitgeteilt worden war, kann den Mietern nicht zum Vorwurf gemacht werden, sich auf die Informationen aus dem online zugänglichen Grundbuchauszug verlassen zu haben. Es ist daher von einem Rechtsmissbrauch der Vermieter auszugehen, wenn diese dem kantonalen Gericht vorwerfen, die Klage wegen fehlender Passivlegitimation nicht abgewiesen und die Berichtigung der beklagten Parteien vorgenommen zu haben.
2022-N18 Kurzfristig gegen schwer identifizierbare notwendige Streitgenossen klagen – Eine gefährliche, aber nicht unlösbare Aufgabe
Bem. F. Bastons Bulletti
1 Ein Mietvertrag wird zwischen zwei Mietern und einer Vermieterin abgeschlossen. Anschliessend verkauft diese die Liegenschaft. Nach weiteren Veräusserungen wird der Mietvertrag schliesslich auf drei Miteigentümer sowie auf die Nutzniesserin eines Miteigentumsanteils übertragen (Art. 261 und 261a OR). Die vier Mitvermieter kündigen in der Folge den Mietvertrag mit einem Formular, das nur ihre Initialen enthält. Die Mieter klagen daraufhin gegen die Vermieter, insb. auf Anfechtung der Kündigung. Sie richten ihre Klagen jedoch nur gegen die drei Miteigentümer und übergehen die Nutzniesserin. In Zwischenentscheiden (Art. 237 ZPO) bejaht das Kantonsgericht trotzdem die Zulässigkeit der Klagen: Die Kantonsrichter stellen fest, dass die vierte Mitvermieterin weder im Kündigungsformular klar erwähnt wird noch im online frei zugänglichen Grundbuchauszug erscheint, und gehen von einer unrichtigen Bezeichnung der Beklagten aus und berichtigen diese. In der Folge bestätigen sie in der Hauptsache die (erstinstanzliche) Gutheissung der Klagen weitgehend. Gegen diesen Endentscheid und die Zwischenentscheide reichen die Mitvermieter erfolglos Beschwerde beim BGer ein.
2 Im Gegensatz zum Kantonsgericht anerkennt das BGer im vorliegenden Fall keinen Fall einer unrichtigen Bezeichnung der Beklagten, und folglich auch keine Berichtigung dieser Bezeichnung (E. 5.2.2 des Urteils; unten N 6 f.). Hingegen stellt es fest, dass sich die Beklagten rechtsmissbräuchlich verhalten, wenn sie sich auf die Unterlassung der Kläger und damit auf deren fehlende Passivlegitimation berufen und dem kantonalen Gericht vorwerfen, die Bezeichnung der beklagten Parteien berichtigt zu haben (vgl. E. 5.2.3 des Urteils; unten N 8).
3 Da es sich bei der Kündigungsanfechtungsklage um eine Gestaltungsklage handelt, sind die Vermieter notwendige Streitgenossen: Die Frage, ob das Rechtsverhältnis, das sie gemeinsam innehaben, aufrechterhalten werden soll, kann nur Gegenstand eines einzigen Urteils sein, das allen entgegengehalten werden kann (vgl. Anm. unter Art. 70, A., insb. BGer 4C.331/1993 vom 20.6.1994 E. 5b, SJ 1995, 53, und BGE 140 III 598 E. 3.2). Dieser Punkt ist im vorliegenden Fall nicht bestritten. Daraus folgt, dass alle Streitgenossen gemeinsam klagen oder beklagt werden müssen (Art. 70 Abs. 1 ZPO) oder zumindest – bei Klagen mit sozialer Schutzfunktion wie der Kündigungsanfechtung im Mietrecht – auf der einen oder anderen Seite der Gerichtsschranken Prozesspartei sein müssen (zit. BGE 140 E. 3.2, Anm. unter Art. 70, B.a.a.). Sonst ist die Klage mangels Aktiv- oder Passivlegitimation jenes oder jener, der (die) ohne ihre(n) Streitgenosse(n) geklagt haben oder beklagt wurden, abzuweisen (BGE 138 III 737 E. 2, Anm. unter Art. 70, B.a.a.).
4 Diese Lösung kann sich für einen Kläger in jenen Fällen als streng erweisen, in denen es darum geht, gegen eine Personengemeinschaft zu prozessieren, deren Zusammensetzung nicht ohne weiteres festgestellt werden kann. Sie ist es noch mehr, wenn darüber hinaus die Klage – wie im vorliegenden Fall – unter Gefahr der Verwirkung des geltend gemachten Rechts (vgl. für die Klage auf Anfechtung der Kündigung Art. 273 Abs. 1 OR) innert kurzer Frist angehoben werden muss. In diesem Fall ist eine neue, diesmal durch alle aktivlegitimierten Personen eingereichte bzw. gegen alle passivlegitimierten Personen gerichtete Klage zwar durchaus zulässig; es handelt sich um den gleichen Streitgegenstand, nicht aber um die gleichen Parteien, sodass ihr die materielle Rechtskraft des abweisenden (ersten) Entscheids nicht entgegengehalten werden kann (vgl. Anm. unter Art. 59 Abs. 2 lit. e, 4.). Allerdings ist die Verwirkungsfrist zur Klageeinreichung in der Regel verstrichen, wenn die zweite Klage anhängig gemacht wird. Überdies kann die ursprünglich geschaffene Rechtshängigkeit nicht aufrechterhalten werden, da die Voraussetzungen von Art. 63 ZPO (unzuständiges Gericht oder falsche Verfahrensart) nicht gegeben sind. Folglich ist – im Falle eines Irrtums über die Personen, denen Aktiv- bzw. (häufiger) Passivlegitimation zukommt – das materielle Recht verloren gegangen.
5 Um eine derartige Rechtsfolge zu vermeiden, wurde in der Rechtsprechung im Fall einer innert gesetzlicher Frist einzureichenden Klage gegen Erben als notwendige Streitgenossen davon ausgegangen, dass der Kläger, dem es an der Zeit fehlt, um die Erben des Beklagten zu identifizieren, sein Schlichtungsgesuch gegen die Erbengemeinschaft richten und sich die Möglichkeit vorbehalten kann, die Zusammensetzung der Erbengemeinschaft so bald als möglich zu präzisieren (BGer 4A_482/2015 vom 7.1.2016 E. 2.2, Anm. unter Art. 70, B.b.a.; auch BGer 5A_741/2020 vom 12.4.2021 E. 5.2.3, Anm. unter Art. 66, A., aus dem folgt, dass der Kläger in diesem Fall die vergeblich unternommenen Schritte zur Identifizierung der Erben behaupten und beweisen muss). Doch selbst angenommen – wie wir meinen –, dass diese Rechtsprechung generell für Klagen gegen notwendige Streitgenossen gelten soll, deren Identifizierung in casu Schwierigkeiten bereitet, wenn die Klage einer Verwirkungsfrist unterliegt, hatten die Kläger im vorliegenden Fall ihre Klage nicht gegen «sämtliche Vermieter» gerichtet und sich auch nicht die Möglichkeit vorbehalten, die Identität des vierten Vermieters genau anzugeben.
6 Vielleicht um den Mietern weitaus schwerwiegendere Folgen als ihren Irrtum zu ersparen, ging das Kantonsgericht im vorliegenden Fall davon aus, dass ein Fall von unrichtiger Parteibezeichnung – und nicht von fehlender Passivlegitimation – vorlag, und nahm eine Berichtigung dieser Bezeichnung vor, indem es die Nutzniesserin hinzufügte. Wie das BGer im vorliegenden Urteil kurz in Erinnerung ruft, ist die unrichtige Bezeichnung einer Partei jedoch vom Fehlen der Legitimation zu unterscheiden: Erstere betrifft eine rein formelle Unrichtigkeit, deren Berichtigung voraussetzt, dass für den Richter und die Parteien keine ernsthaften Zweifel an der wirklichen Identität der Partei bestehen (vgl. Anm. unter Art. 59 Abs. 2, D.c., insb. BGE 142 III 782 E. 3.2.1). Dies wäre vermutlich der Fall gewesen, wenn die Kläger im vorliegenden Fall erklärt hätten, gegen «sämtliche Vermieter» zu klagen, und sich gleichzeitig die Möglichkeit vorbehalten hätten, die Bezeichnung der Beklagten kurzfristig zu ergänzen (vgl. zit. BGer 5A_741/2020). Ist hingegen jener, der tatsächlich beklagt wurde, nicht der (oder der einzige) Verpflichtete aus dem angerufenen Recht, liegt ein Mangel bei der Passivlegitimation vor, der nicht behoben werden kann (zit. BGE 142, E. 3.2.2, Anm. ibid.; auch BGer 4A_527/2011 vom 5.3.2012 E. 2.4 und 2.5 n.v. in BGE 138 III 213, ibid).
7 Im vorliegenden Fall hält das BGer fest, dass aus dem Kündigungsformular noch erkennbar hervorging, dass die Kündigung von vier Mitvermietern ausging, sodass die Klage, die sich nur gegen drei von ihnen richtete, normalerweise mangels Passivlegitimation abzuweisen gewesen wäre, ohne dass eine Berichtigung möglich gewesen wäre. Dieser strikte Ansatz erscheint uns gerechtfertigt: Die Kläger hatten eindeutig nur gegen die drei Beklagten geklagt und wussten nichts von der Existenz einer Nutzniesserin; es war daher zumindest zweifelhaft und jedenfalls nicht erkennbar, dass letztere in Wirklichkeit von den Klagen betroffen war (vgl. auch zit. BGer 4A_527/2011). Unklar ist zudem, ob die Nutzniesserin von den Klagen und Schlichtungsgesuchen, in denen sie nicht erwähnt wurde, Kenntnis hatte. Ist dies nicht der Fall, war eine Berichtigung von vornherein ausgeschlossen, da nicht behauptet werden kann, sie hätte wissen müssen, dass sie Prozesspartei war (vgl. zit. BGE 142, E. 3.2.1, Anm. unter Art. 59 Abs. 2, D.c.; BGer 4A_560/2015 vom 20.5.2016 E. 4.2–4.3, Anm. ibid.; auch zit. BGer 5A_741/2020, E. 5.2.2).
8 Das BGer gelangte zum gleichen Ergebnis wie das kantonale Gericht, jedoch mit einer anderen Begründung: Es ging davon aus, dass sich die Beklagten im vorliegenden Fall rechtsmissbräuchlich auf ihre fehlende Passivlegitimation berufen und sich der Berichtigung der Parteibezeichnung in der Klageschrift widersetzt hatten. Diese Lösung überzeugt, da im vorliegenden Fall die Vermieter selbst den Irrtum begünstigt und teilweise sogar verursacht hatten, indem sie die Mieter nicht über die Änderungen bei der Inhaberschaft des Mietvertrags informiert, sie nicht auf das Bestehen einer Nutzniessung hingewiesen und ihnen ein unklares Kündigungsformular zugesandt hatten; die Tatsache, dass die Nutzniessung zudem nicht im online zugänglichen Grundbuchauszug erwähnt wurde, hatte die Irreführung der Kläger vervollständigt. Der Rechtsmissbrauch, sich aufgrund einer notwendigen Streitgenossenschaft auf das Fehlen der Aktiv- oder Passivlegitimation zu berufen, darf jedoch nur unter ganz aussergewöhnlichen Umständen angenommen werden, da sonst der Begriff der notwendigen Streitgenossenschaft ausgehöhlt würde (vgl. BGer 4A_484/2019 vom 29.4.2020 E. 4.4.3, Anm. unter Art. 70, B.b.a.). Indem eine Klage von allen oder gegen alle Parteien des fraglichen Rechtsverhältnisses vorgeschrieben wird, soll dieser Begriff sicherstellen, dass alle Streitgenossen am Verfahren teilnehmen können und dass ein (einziger) Entscheid für alle ergeht und ihnen entgegengehalten werden kann. Die Tatsache, dass im vorliegenden Fall die ursprünglich übersehene Nutzniesserin durch die vom Kantonsgericht in Zwischenentscheiden vor der Prüfung in der Sache vorgenommene Berichtigung formell in den Prozess einbezogen wurde (vgl. Sachverhalt des Urteils, B.a. und B.b.), stellte sicher, dass der Endentscheid ihr gegenüber wirksam sein würde, sodass dem Begriff der notwendigen Streitgenossenschaft Genüge getan wurde. In einem anderen Fall einer Kündigungsanfechtung ging das BGer ebenfalls von einem Rechtsmissbrauch der beklagten Vermieterin aus, die die Aktivlegitimation der Klägerin mit der Begründung bestritt, dass die Klägerin ihren Ehemann als Mitmieter und notwendigen Streitgenossen nicht in den Prozess einbezogen hatte. Die Umstände waren jedoch sehr speziell: Der Ehemann, der sich weigerte, zu klagen, und somit auf Seiten der Vermieterin hätte eingeklagt werden müssen (vgl. oben N 3 und BGE 140 III 598 E. 3.2), war der Sohn der Vermieterin, die den gemeinsamen Mietvertrag gerade deshalb gekündigt hatte, um mit ihrem Sohn einen anderen Vertrag abzuschliessen, und zwar unter Missachtung eines Eheschutzmassnahmenentscheids, mit dem die fragliche Wohnung ausschliesslich der Klägerin zugewiesen worden war (BGer 4A_570/2018 vom 31.7.2019 E. 3.5 n.v. in BGE 145 III 281). Uns sind keine weiteren Fälle bekannt, in denen das BGer einen Rechtsmissbrauch durch die Berufung auf eine notwendige Streitgenossenschaft und das Fehlen einer Aktiv- oder Passivlegitimation anerkannt hat. U.E. ist mit Ausnahme der oben genannten Sonderfälle, in denen gewährleistet wird, dass der übersehene Streitgenosse nicht (in gutem Glauben) einwenden können wird, dass das Urteil ihm nicht entgegengehalten werden könne, weder ein Rechtsmissbrauch des Beklagten, der sich auf das Fehlen der Aktiv- oder Passivlegitimation beruft, noch – abgesehen von offensichtlichen formellen Unrichtigkeiten – eine unrichtige Parteibezeichnung anzunehmen.
9 Daher ist der Kläger, der trotz seiner Abklärungen nicht alle Zweifel über die Identität der passiven Streitgenossen ausgeräumt hat, während ihm nur eine kurze Frist zur Klageerhebung zur Verfügung steht, gut beraten, in seiner verfahrenseinleitenden Eingabe klar anzugeben, dass er gegen sämtliche notwendigen Streitgenossen klagen will, die Gründe für seine Zweifel, sowie die Schritte, die er unternommen hat, um diese Zweifel auszuräumen, darzutun und zu belegen, und die Ansetzung einer Frist zur Vervollständigung dieser Eingabe mit der genauen und vollständigen Angabe der Beklagten zu beantragen.
Zitationsvorschlag:
F. Bastons Bulletti in Newsletter ZPO Online 2022-N18, Rz…
ZPO-Revision 2025: Art. 407f nZPO
2024-N13 – Art. 407f nZPO: Eine sonderbare Übergangsbestimmung für die ZPO-Revision
Im Rahmen der Revision der ZPO, die am 1. Januar 2025 in Kraft treten wird, hat der Gesetzgeber mit Art. 407f eine besondere Übergangsbestimmung erlassen. Diese ist alles andere als selbstredend und wirft zahlreiche Fragen auf. Wir werden einleitend die Übergangsregelung zum Inkrafttreten der ZPO in Erinnerung rufen (1.), alsdann den Hintergrund der Revision der ZPO beleuchten (2.) und anschliessend untersuchen, wie Art. 407f auszulegen ist (3.). Dieser Beitrag bietet auch Gelegenheit, Praktikerinnen und Praktikern die Auswirkungen der sofortigen Anwendung bestimmter Bestimmungen zu erläutern (4.) und sie darauf aufmerksam zu machen, dass in gewissen Fällen ein Zuwarten mit der Klageerhebung ins Auge gefasst werden sollte (5.)