Die Rechtsprechung, wonach ein Mitmieter allein die Kündigung des Mietverhältnisses anfechten kann, solange er gegen den oder die Mitmieter auf Seiten des Vermieters klagt, gilt auch für Klagen, die sich aus den Vorschriften über den Schutz vor missbräuchlichen Mietzinsen ergeben; diese beiden Bereiche des Mietrechts hinsichtlich von Wohn- und Geschäftsräumen bilden ein homogenes Ganzes, was rechtfertigt, eine Abschwächung von der gemeinsamen Klage der Mitmieter zuzulassen.
2020-N17 Missbräuchliche Mietzinse: Mitmieter geniessen die gleiche verfahrensrechtliche Abschwächung wie beim Kündigungsschutz
Bem. Patricia Dietschy-Martenet
1 Seit dem 1. Dezember 1994 vermietete eine Genossenschaft eine Wohnung in einem Gebäude in Genf an ein Konkubinatspaar, welches bis Ende 2016 der Regelung betreffend preisgünstige Wohnungen unterlag. Im November 1995 teilte der Mitmieter der Vermieterin mit, er werde die Wohnung am Ende des Jahres verlassen, seine Partnerin werde jedoch mit den beiden Töchtern in der Wohnung bleiben.
2 Im Hinblick auf das Ende der staatlichen Mietzinskontrolle forderten die Mieter im Jahr 2016 eine Herabsetzung ihrer Miete um 40 %. Da sich die Vermieterin weigerte, erhob die Mieterin gegen die Vermieterin und den Mitmieter eine Klage auf Herabsetzung des Mietzinses. Ihre Anträge wurden im erstinstanzlichen Verfahren abgewiesen. Im Berufungsverfahren gewährte ihr die Genfer Cour de Justice hingegen nach Berechnung des Nettoertrages eine Herabsetzung der Miete ab dem 1. Januar 2017 und verurteilte die Vermieterin zur Rückerstattung des zu viel bezahlten Betrags.
3 Die Vermieterin gelangt mit Beschwerde ans BGer. In verfahrensrechtlicher Hinsicht rügt sie eine Verletzung von Art. 70 Abs. 1 ZPO und bringt vor, die Mieterin hätte das Verfahren nicht allein, ohne ihre Mitmieter als Mitkläger, einleiten dürfen. Mangels Aktivlegitimation hätte das kantonale Gericht die Klage auf Mietzinsreduktion abweisen müssen. Das BGer prüft die Frage sorgfältig. Es weist zunächst darauf hin, dass die in materieller Hinsicht notwendigen Streitgenossen zusammen gemeinsam Inhaber ein und desselben Rechts bzw. durch dieses Recht gemeinsam verpflichtet sind und deshalb grundsätzlich gemeinsam klagen oder beklagt werden müssen. Im Falle eines gemeinsamen Mietvertrags kann die Gestaltungsklage auf Anfechtung der Kündigung nur zu einem Urteil führen, das für alle betroffenen Parteien in Rechtskraft erwächst (BGer, 28.8.2017, 4A_689/2016, E. 4.1). Die Rechtsprechung hat jedoch eine Abschwächung von dieser gemeinsamen Klage zugelassen, um dem besonders akuten Bedarf an sozialem Schutz Rechnung zu tragen, wenn es um die Miete einer Wohnung geht (BGE 140 III 598 E. 3.2; BGer, 31.7.2019, 4A_570/2018, E. 3.1 n.v. in BGE 145 III 281; BGer, 12.3.2018, 4A_625/2017, E. 3.1; BGer, 28.8.2017, 4A_689/2016, E. 4). Damit soll verhindert werden, dass ein Mitmieter seine Wohnung verliert, weil der andere Mitmieter die Kündigung nicht vor Gericht anfechten will. Diese Rechtsprechung impliziert, dass alle Mitvertragsparteien auf der einen oder anderen Seite der Gerichtsschranken am Prozess teilnehmen; es ist daher nicht notwendig, dass die Mitmieter als notwendige Streitgenossen Mitkläger sind; ein Mitmieter kann allein klagen, solange er gegen den Vermieter und den/die anderen Mitmieter als Mitbeklagte klagt (BGE 140 III 598 E. 3.3; 145 III 281 E. 3.1 und 3.4.2). Das BGer hat die Anwendung dieser Rechtsprechung auf Verfahren auf Anfechtung der Kündigung von Mietverträgen über Geschäftsräume (BGer, 28.8.2017, 4A_689/2016, E. 4.1) sowie auf Verfahren auf Feststellung der Nichtigkeit oder Unwirksamkeit der Kündigung (BGer, 21.12.2017, 4A_347/2017, E. 3.1; BGer, 28.8.2017, 4A_689/2016, E. 4.1) ausgedehnt. Hingegen musste es noch nie über deren Anwendung auf Gestaltungsklagen auf Mietzinsherabsetzung entscheiden. Der mehrheitlichen Lehrmeinung folgend lässt es diese Anwendung zu, da den in Art. 269 ff. OR verankerten Regeln zum Schutz vor missbräuchlichen Mietzinsen das gleiche Bedürfnis nach sozialem Schutz des Mieters zugrunde liegt. Die Bereiche der missbräuchlichen Mietzinse bzw. Kündigungen bilden ein einheitliches Ganzes. Die in BGE 140 III 598 anerkannten Grundsätze müssen daher auch für Klagen von Mitmietern gelten, die auf dem Schutz vor missbräuchlichen Mietzinsen beruhen.
4 An der in diesem Urteil gewählten Lösung ist nichts zu beanstanden, da sie logisch und gerechtfertigt erscheint: Da der Gesetzgeber besondere materiellrechtliche Regeln zum Schutz der Mieter von Wohn- oder Geschäftsräumen gegen missbräuchliche Kündigungen und Mietzinse festgelegt hat, sind solche Klagen verfahrensrechtlich gleich zu behandeln. Selbst wenn alle Mitmieter ein Interesse daran haben, einen herabgesetzten Mietzins zu bezahlen, werden aus verschiedenen Gründen (Faulheit, Angst vor Vergeltungsmassnahmen oder Beeinträchtigung der Beziehungen zum Vermieter, langfristiger Aufenthalt im Ausland usw.) nicht alle entsprechende Schritte unternehmen wollen. Die Abschwächung vom Erfordernis der gemeinsamen Klage ist daher auch bei dieser Art von Klagen gerechtfertigt.
5 Diese Rechtsprechung sollte jedoch nicht für Mitvermieter gelten, die stets gemeinsam handeln müssen, um z.B. die Mietzinserhöhung für rechtsgültig erklären oder die Rechtsgültigkeit der Kündigung des Mietverhältnisses feststellen zu lassen, nachdem sie einen Urteilsvorschlag abgelehnt haben (Art. 211 Abs. 2 lit. a ZPO). Denn die Abschwächung von der gemeinsamen Klage basiert auf dem verstärkten Schutzbedarf des Mieters in den Bereichen der missbräuchlichen Mietzinse und Kündigungen.
6 Schliesslich ist auf die in diesem Urteil hervorgehobenen Ähnlichkeiten zwischen dem Verfahren um Kündigungsschutz und dem Verfahren zum Schutz vor missbräuchlichen Mietzinsen hinzuweisen. Nun wurde aber der Anwendungsbereich des vereinfachten Verfahrens gemäss Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO nie mit Blick auf den «Schutz vor missbräuchlichen Mietzinsen» diskutiert. Umgekehrt bildete der Begriff des «Kündigungsschutz[es]» bereits Gegenstand mehrerer Urteile, die zu einer extensiven Definition dieses Begriffs geführt haben (BGE 142 III 690; 142 III 402; 142 III 278; 139 III 457). Ist daraus abzuleiten, dass das BGer in Bezug auf den «Schutz vor missbräuchlichen Mietzinsen» zur gleichen weitgehenden Definition gelangen würde und dass somit jedes Verfahren im Zusammenhang mit dem Mietzins unter Art. 243 Abs. 2 ZPO fallen würde? Eine solche Auslegung, die uns nach heutiger Rechtslage gesetzeswidrig erscheint, hätte den Vorteil der Einfachheit und Vorhersehbarkeit. Bohnet geht sogar noch weiter und schlägt eine Revision dieser Bestimmung vor mit dem Ziel, alle Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Miete von Wohn- oder Geschäftsräumen dem vereinfachten Verfahren zu unterstellen (François Bohnet, Bail et procédure simplifiée: où prend fin le domaine de la protection contre les congés? Plaidoyer pour une révision législative, in: Bovey/Chappuis/Hirsch (Hrsg.), Mélanges à la mémoire de Bernard Corboz, Zürich 2019, S. 305 ff., S. 313).
Zitationsvorschlag:
Patricia Dietschy-Martenet in Newsletter ZPO Online 2020-N17, Rz…