[Versäumte Klageantwort, Art. 223 Abs. 2] Die Pflicht, auf die Säumnisfolgen hinzuweisen, fliesst aus dem Grundsatz von Treu und Glauben. Dabei handelt es sich nicht um eine Ordnungsvorschrift. Der richtige Hinweis gemäss Art. 147 Abs. 3 ZPO stellt grundsätzlich eine Voraussetzung der sog. Präklusion [Verwirkung] dar, es sei denn, die Partei hätte die Säumnisfolgen gekannt oder sich deren bei zumutbarer Sorgfalt bewusst sein können. Nach der Lehre genügt die blosse Angabe der anwendbaren Sonderbestimmung nicht; die Parteien sind auf die konkreten Rechtsfolgen einer Unterlassung aufmerksam zu machen. (E. 2.3) Der Begriff der Verwirkung gemäss Art. 223 Abs. 2 ZPO steht im Zusammenhang mit der Last des Beklagten, die vom Kläger behaupteten Tatsachen zu bestreiten, und der sich für diesen daraus ergebenden Last, diese Tatsachen zu beweisen. Im der Verhandlungsmaxime unterliegenden Prozess muss der Beklagte in seiner Klageantwort darlegen, welche Tatsachenbehauptungen der klagenden Partei im Einzelnen anerkannt oder bestritten werden (Art. 222 Abs. 2 ZPO). Da einzig rechtserhebliche bestrittene Tatsachen – bzw. nicht streitige Tatsachen, an deren Richtigkeit der Richter jedoch erhebliche Zweifel hat (Art. 153 Abs. 2 ZPO) – Gegenstand des Beweises sind (Art. 150 Abs. 1 ZPO), ist der Kläger mangels Bestreitung grundsätzlich von der Beweislast bezüglich der von ihm zur Untermauerung seines Anspruches behaupteten Tatsachen befreit. Der Beklagte, der keine Antwort einreicht, geht somit das Risiko ein, dass der Richter einen Endentscheid einzig gestützt auf die vom Kläger behaupteten Tatsachen fällt. Dies ist die in Art. 223 Abs. 2 ZPO vorgesehene konkrete Säumnisfolge für den Fall, dass der Beklagte trotz Ansetzen einer Nachfrist keine Antwort einreicht. (E. 2.4) Der Hinweis, der Richter werde « direkt einen Endentscheid fällen können, sofern die Angelegenheit spruchreif ist (Art. 223 Abs. 2 ZPO), unter Vorbehalt von Art. 153 Abs. 2 ZPO » kann von einem Juristen voll und ganz verstanden werden, welcher diesen Hinweis im Rahmen des komplexen Mechanismus der Bestreitung und des Beweises rechtserheblicher Tatsachen richtig einzuordnen weiss. Hingegen genügt dieser für eine nicht anwaltlich vertretene Partei nicht, da der Hinweis diese Partei über die konkrete irreversible mögliche Rechtsfolge der Unterlassung einer Klageantwort, nämlich den Erlass eines allein auf den vom Kläger behaupteten und unbestritten gebliebenen Tatsachen beruhenden Entscheids, nicht klar informiert. Diese Partei ist ausdrücklich auf die konkreten Folgen der versäumten Klageantwort hinzuweisen. Dazu genügt die Präzisierung, dass der Richter bei unbenutztem Ablauf der Frist über die Möglichkeit verfügt, einen Endentscheid « allein gestützt auf die vom Kläger behaupteten Tatsachen » zu fällen.
2019-N20 Voraussetzungen und Rechtsfolgen der versäumten Klageantwort
Bem. F. Bastons Bulletti
1 Eine Gesellschaft reicht gegen zwei Beklagte Klage auf Bezahlung eines Betrages, die sie bei Fälligkeit nicht überwiesen hatten, sowie auf Bezahlung einer bei nicht rechtzeitiger Bezahlung vorgesehenen Konventionalstrafe ein. Die Beklagten reichen selbst innert der ihnen vom Richter gemäss Art. 223 Abs. 1 ZPO gewährten Nachfrist keine Klageantwort ein. Der Richter stellt mit Verfügung die Präklusion der Beklagten fest; aufgrund von Art. 153 Abs. 2 ZPO setzt er jedoch eine Verhandlung zur Erhebung der die Konventionalstrafe betreffenden Beweise an. In dieser Verhandlung reichen die – nunmehr von einem Rechtsanwalt vertretenen – Beklagten eine Eingabe ein, die die Bestreitung der Klagebehauptungen, Beweisofferten sowie Rechtsbegehren auf vollständige Abweisung der Klage enthält. Der Richter erklärt diese Eingabe für unzulässig. Im Anschluss an die Hauptverhandlung betreffend die Konventionalstrafe heisst er die Klage teilweise gut. Nachdem das Berufungsgericht diesen Entscheid bestätigt hat, gelangen die Beklagten mit Erfolg ans BGer.
2 In seinem in Fünferbesetzung gefällten Urteil erwägt das BGer im Wesentlichen, die – damals nicht anwaltlich vertretenen – Beklagten seien im Stadium des Schriftenwechsels nicht klar genug auf die Rechtsfolgen einer Säumnis bei der Einreichung der Klageantwort hingewiesen worden. Damit war ihre Antwort nicht i.S.v. Art. 223 Abs. 2 ZPO verwirkt.
3 Grundsätzlich zeitigt die Säumnis (d.h. die Unterlassung, eine Handlung innert angesetzter Frist vorzunehmen, oder das Fernbleiben von einer Verhandlung, vgl. Art. 147 Abs. 1 ZPO; geht es um eine Klageantwort, wird dieser Säumnis die Einreichung einer mangelhaften und nicht innert der Frist nach Art. 132 Abs. 1 ZPO geheilten Antwort gleichgesetzt, vgl. BGer 4A_28/2017 vom 28.6.2017 E. 2, Anm. unter Art. 223 Abs. 2 und Bem. M. Heinzmann in Newsletter vom 14.09.2017) im Zivilverfahren wenig Rechtsfolgen: Das Verfahren wird ohne die versäumte Handlung weitergeführt (Art. 147 Abs. 2 ZPO). Es wird keine Nachfrist oder neue Verhandlung angesetzt, sondern die säumige Partei kann am Verfahren ordentlicherweise weiter teilnehmen. Allerdings bildet die Säumnis bei der Einreichung der Klageantwort Gegenstand einer Sonderregelung: Diesfalls muss der Richter dem Beklagten eine kurze Nachfrist ansetzen (Art. 223 Abs. 1 ZPO; zur Erstreckung dieser Nachfrist vgl. Anm. unter Art. 223 Abs. 1). Gemäss der allgemeinen Vorschrift von Art. 147 Abs. 3 ZPO muss er den Beklagten zudem auf die Säumnisfolgen hinweisen. Mangels (gehörigen) Hinweises können diese Folgen (unten, N 5, 7 und 8) grundsätzlich nicht eintreten (BGer 5A_812/2013 vom 11.2.2014 E. 2.3, Anm. unter Art. 147 Abs. 3; BGer 4A_224/2017 vom 27.6.2017 E. 2.4.2, Anm. unter Art. 223 Abs. 2). Allerdings behält das BGer – u.E. zu Recht – die mangelnde Gutgläubigkeit der Partei vor, die um diese Folgen wissen musste (vgl. E. 2.2 des Urteils), ebenso die besondere Konstellation, in der sich die Unterlassung des Hinweises nicht auf die Säumnis der Partei auswirken konnte (zit. BGer 4A_224/2017 E. 2.4.2 i.f.).
4 Im vorliegenden Fall hatte der Richter in seiner Verfügung, in der er die Nachfrist ansetzte, vorab an Art. 147 und 223 ZPO erinnert, wobei er die Beklagten darauf aufmerksam machte, dass « der Richter nach unbenützter Nachfrist dazu befugt ist, direkt einen Endentscheid zu treffen, sofern die Angelegenheit spruchreif ist (Art. 223 Abs. 2 ZPO), und unter Vorbehalt des Falles von Art. 153 Abs. 2 ZPO ». In seiner Prüfung des erforderlichen Inhalts des Hinweises erwägt das BGer u.E. zu Recht, dass eine derartige Formulierung einer unerfahrenen und nicht vertretenen Partei nicht erlaubt, die wesentlichen Säumnisfolgen zu verstehen – wobei präzisiert wird, dass die Formulierung für einen Juristen ausreichen würde (E. 2.4 des Urteils). So sah sich das BGer veranlasst, den Begriff der Präklusion und seine Tragweite zu präzisieren.
5 In Abweichung von Art. 143 Abs. 2 ZPO führt die versäumte Klageantwort im ordentlichen Verfahren gestützt auf das Gesetz (Art. 223 Abs. 2 ZPO) zu schwerwiegenden Sanktionen: Am Ende der Nachfrist geht der Beklagte, der seine Antwort verwirkt, das Risiko des Ergehens eines Endentscheids ein, sofern die Sache spruchreif ist; sonst werden die Parteien zur Hauptverhandlung vorgeladen.
6 Die obenerwähnte Bestimmung war im vorliegenden Fall auf die dem ordentlichen Verfahren unterliegende Sache klarerweise anwendbar. Trotz Art. 219 ZPO erscheint die darin vorgesehene Säumnisfolge im vereinfachten Verfahren nur dann anwendbar zu sein, wenn ein echter Schriftenwechsel i.S.v. Art. 246 ZPO angeordnet wird, nicht aber im Fall der Unterlassung einer Stellungnahme gemäss Art. 245 Abs. 2 ZPO (vgl. Anm. unter Art. 223 Abs. 2, insb. OGer/ZH vom 19.3.2015 (PD150004-O/U) E. 2.3.2; auch Anm. unter Art. 245 Abs. 2, B, insb. Bem. M. Heinzmann zum Urteil BGer 4A_28/2017 vom 28.06.2017 in Newsletter vom 14.09.2017). Diesfalls muss Art. 147 Abs. 2 ZPO anwendbar sein, und eine Hauptverhandlung ist noch durchzuführen. Allerdings hat sich das BGer zu diesen Fragen noch nicht geäussert. Nach Auffassung von Tappy (CR CPC Art. 223 N 26 f.) bezieht sich Art. 223 ZPO nicht auf die Säumnis der Stellungnahme im Summarverfahren. Da in diesem Verfahren die Durchführung einer Verhandlung jedoch nicht die Regel bildet (Art. 256 Abs. 1 ZPO; s. jedoch Art. 273 ZPO für Eheschutzmassnahmen oder vorsorgliche Massnahmen im Scheidungsverfahren), kann u.E. in der Regel nach Ablauf der Frist zur Stellungnahme ein Entscheid ergehen, es sei denn, die Sache unterläge der Untersuchungsmaxime; diesfalls ist eine Verhandlung insb. zur Beweiserhebung vom Amtes wegen (Art. 153 Abs. 1 ZPO) gegebenenfalls anzusetzen. Das BGer hat sich nicht explizit geäussert, hat aber aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung jedenfalls für das Rechtsöffnungsverfahren entschieden, dass das Ansetzen einer Nachfrist bei unterlassener Stellungnahme des Beklagten ausgeschlossen ist; dieser ist somit bereits in der die Frist zur Stellungnahme ansetzenden Verfügung auf die Säumnisfolgen hinzuweisen, und nach Ablauf dieser Frist kann ein Entscheid gefällt werden (vgl. BGE 138 III 483 E. 3.2.4–3.2.5, Anm. unter Art. 223 Abs. 1 und unter Art. 147 Abs. 3). Die Frage nach der Nachfrist – und den Säumnisfolgen – bleibt allerdings für die übrigen dem Summarverfahren unterliegenden Sachen offen (BGer 4A_224/2017 vom 27.6.2017 E. 2.4.2 m.H. auf die Lehre, Anm. unter Art. 223 Abs. 2).
7 Auf jeden Fall wird die Präklusion des zur Antwort aufgeforderten Beklagten einer Klageanerkennung nicht gleichgesetzt (vgl. BGer 5A_749/2016 vom 11.5.2017 E. 4 und 5, Anm. unter Art. 223 Abs. 2); hingegen bleiben die rechtserheblichen Behauptungen in der Klage i.S.v. Art. 150 Abs. 1 ZPO unbestritten (Art. 222 Abs. 2 ZPO e contrario). Daher ist in den der Verhandlungsmaxime unterliegenden Sachen keine Beweisabnahme für diese Behauptungen vorzunehmen (Art. 150 ZPO e contrario), unter Vorbehalt des – wenig häufigen – Falles, dass der Richter an der Richtigkeit einer unbestritten gebliebenen Behauptung erhebliche Zweifel hat (Art. 153 Abs. 2 ZPO). Ausser in diesem Fall wird die gerichtliche Wahrheit die materielle Wahrheit ersetzen: In der Regel wird der säumige Beklagte unterliegen, es sei denn, er hätte das Glück, dass die Klage unzulässig oder rechtlich unbegründet ist (was der Richter von Amtes wegen feststellt, Art. 60 ZPO bzw. Art. 57 ZPO). Daher muss sich die unerfahrene Partei bewusstwerden können, dass die Behauptungen des Klägers als nachgewiesen erachtet werden und ein Entscheid einzig gestützt auf die – in der Regel nicht in Frage gestellten – Tatsachendarstellung des Klägers wird ergehen können, wenn sie auf eine Antwort verzichtet.
8 Im Übrigen wird die Präklusion auch dann fortbestehen, wenn die Sache nicht spruchreif ist und eine Verhandlung durchgeführt wird (Art. 223 Abs. 2 2. Satz ZPO). Diesfalls kann sich der säumige Beklagte nicht auf Art. 229 Abs. 2 ZPO und auf eine zweite Äusserungsrunde stützten, um Tatsachen und Beweismittel frei vorzutragen. Die zweite Äusserungsrunde setzt voraus, dass eine erste Runde durchgeführt worden ist (vgl. BGer 5A_921/2017 vom 16.7.2018 E. 3.5, Anm. unter Art. 229 Abs. 1 und 2, A.1.; auch CR CPC-Tappy Art. 223 N 23 m.H.). Wären somit die Beklagten im vorliegenden Fall gehörig auf die Säumnisfolgen hingewiesen worden und wirklich säumig gewesen, wäre der Richter berechtigt gewesen, ihre zu Beginn der Hauptverhandlung eingereichte Eingabe als unzulässig zu erklären. Noven hätten gegebenenfalls nur unter den strikten Voraussetzungen von Art. 229 Abs. 1 ZPO (ohne Verzug vorgebrachte echte Noven oder entschuldbare unechte Noven) zulässig sein können.
9 Mit Blick auf die für den Beklagten schwerwiegenden Rechtsfolgen der versäumten Klageantwort wird vom Gericht gegenüber einer unerfahrenen Partei zu Recht verlangt, diese sehr klar auf die Risiken hinzuweisen, die sie bei Säumnis eingeht. Konkret genügt es dabei, zu erwähnen, dass der Richter seinen Entscheid einzig aufgrund der vom Kläger behaupteten Tatsachen treffen kann. Mangels genügenden Hinweises konnten die Beklagten im vorliegenden Fall nicht als säumig erachtet werden, und es war ihnen eine neue Nachfrist zur Klageantwort anzusetzen.
Zitationsvorschlag:
F. Bastons Bulletti in Newsletter ZPO Online 2019-N20, Rz…