(E. 5.2) Soweit von Ärzten verfasste Dokumente Fragen behandeln, die in gleicher Weise zum Gegenstand eines gerichtlichen Gutachtens gemacht werden können, kommt die Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Gutachten zum Zuge: (E. 5.2.1) Wurde das Gutachten von einer anderen Behörde in Auftrag gegeben und in einem anderen Verfahren erstattet (Fremdgutachten), darf es als gerichtliches Gutachten beigezogen werden, sofern den Parteien diesbezüglich im Hauptprozess das rechtliche Gehör gewährt wird (BGE 140 III 24 E. 3.3.1.3 m.H.). (E. 5.2.2) Wurde ein Gutachten nicht in einem derartigen Rahmen eingeholt, stellt es ein Parteigutachten dar, das nach dem Willen des Gesetzgebers für sich allein nicht zum Beweis geeignet ist und nicht unter den Begriff der Urkunde fällt (BGE 141 III 433 E. 2.5.3). Es gilt vielmehr als blosse Parteibehauptung (BGE 141 III 433 E. 2.6). Dies schliesst aber nicht aus, dass es zusammen mit – durch Beweismittel nachgewiesenen – Indizien den Beweis zu erbringen vermag (BGE 141 III 433 E. 2.6). (E. 5.3) Enthalten von Ärzten verfasste Dokumente Informationen zu Tatsachen, die das Gericht nicht in gleicher Weise von einem gerichtlichen Gutachter erhältlich machen könnte, ist die Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Privatgutachten nicht einschlägig. Dies gilt beispielsweise für Berichte der behandelnden Ärzte über die durchgeführten Behandlungen. (…) Inwieweit von den behandelnden Ärzten diesbezüglich verfasste Dokumente zulässige Beweismittel darstellen, bestimmt sich nicht mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Gutachten, sondern nach den allgemeinen Regeln – aber nur in Bezug auf die Fragen, die nicht in gleicher Weise zum Gegenstand eines Gutachtens gemacht werden können. (E. 5.4.3) In Bezug auf Fragen, die in gleicher Weise zum Gegenstand eines Gutachtens gemacht werden können [z.B.: Fragen nach den konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen sowie deren Unfallkausalität und die Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit] betrifft die Zulässigkeit vom Fremdgutachten Gutachten von Personen, die die gleiche Unabhängigkeit garantieren, als der gerichtlich eingesetzte Experte – durch die Gewährung des rechtlichen Gehörs wird unter anderem gewährleistet, dass die betroffene Partei allfällige Einwände gegen die Unparteilichkeit vorbringen kann. Soweit Berichte dagegen Informationen zu Fragen enthalten, die nicht in gleicher Weise zum Gegenstand eines gerichtlichen Gutachtens gemacht werden könnten, ist die diese betreffende Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht einschlägig.
(N 4) Parteigutachten und Vorentwurf zur Änderung der ZPO
Bem. F. Bastons Bulletti
Im Gegensatz zur in der aktuellen Rechtsprechung des BGer gewählten Lösung (BGE 141 III 433 E. 2.5.3, Anm. unter Art. 157, C.b.d., und Art. 168 Abs. 1, A.) ist in Art. 177 des Vorentwurfs zur Änderung der ZPO vom 2.3.2018 vorgesehen, dass Privatgutachten der Parteien als Urkunden, d.h. als vollwertige Beweismittel (vgl. Art. 168 Abs. 1 lit. b ZPO), erachten werden. Selbstverständlich würden diese wie jedes andere Beweismittel der freien Beweiswürdigung des Richters (Art. 157 ZPO) unterliegen. Soweit heute ein Arztbericht als Privatgutachten gilt (E. 5.2.2 des Urteils), das an sich als Beweis nicht geeignet ist (zit. BGE 141 E. 2.6), würde die obenerwähnte Rechtsprechung dahinfallen. Es ist jedoch zu vermuten, dass die Gerichte diesfalls im Rahmen von Art. 157 ZPO eine Praxis entwickeln würden, die sich der gegenwärtigen Praxis annähern würde, wenn auch mit erhöhter Flexibilität.
Zitationsvorschlag:
F. Bastons Bulletti in Newsletter ZPO Online 2019-N4, Rz…