2024-N13 – Art. 407f nZPO: Eine sonderbare Übergangsbestimmung für die ZPO-Revision
Bem. Sara Grunho Pereira – Michel Heinzmann – Françoise Bastons Bulletti
2 Das BGer wendet den Grundsatz von Art. 2 SchlT ZGB sinngemäss auf Verfahrensregeln an (BGE 115 II 97 E. 2c; BGE 137 II 409 E. 7.4.5 [Verwaltungsverfahren]). Demzufolge sind diese ab Inkrafttreten sofort anwendbar.
3 Der Gesetzgeber ist bei der Verabschiedung der ZPO teilweise von diesem Grundsatz abgewichen, indem er Übergangsbestimmungen vorgesehen hat (3. Titel des 4. Teils; Art. 404 ff.). Die Art. 404 bis 407 („Kapitel 1: Übergangsbestimmungen vom 19. Dezember 2008“) sind dem Übergang vom kantonalen Prozessrecht zu der am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen ZPO gewidmet. Art. 404 befasst sich mit der Weitergeltung des alten Rechts, Art. 405 enthält eine Sonderregelung für die Rechtsmittel, Art. 406 für die Gerichtsstandsvereinbarung und Art. 407 für die Schiedsgerichtsbarkeit. Die Übergangsbestimmungen in den Kapiteln 2 bis 6 (Art. 407a bis 407e) beziehen sich auf spätere Änderungen der ZPO und sehen grundsätzlich die sofortige Anwendung der neuen Bestimmungen vor.
4 Nach Art. 404 gilt für die bei Inkrafttreten der ZPO rechtshängigen Verfahren bis zu deren Abschluss vor der betroffenen Instanz das alte Verfahrensrecht. Das Inkrafttreten der ZPO hat wichtige Änderungen in der Praxis des Zivilprozesses in der Schweiz mit sich gebracht. Daher rechtfertigte es sich, diese Übergangsbestimmung einzuführen und vom Grundsatz der sofortigen Anwendung des neuen Prozessrechts abzuweichen. Das bisherige Recht sollte der Einfachheit halber auf laufende Verfahren anwendbar bleiben. Die ZPO sollte für die ab dem 1. Januar 2011 rechtshängig gemachten Verfahren gelten. Mit dieser Regel werden die Grundsätze der Verfahrensökonomie und der Rechtssicherheit gewahrt sowie der gute Glaube der Parteien geschützt (PC CPC-Heinzmann/Grunho Pereira, Art. 404 N 4).
5 Für die Rechtsmittel hat der Gesetzgeber eine gesonderte Übergangsbestimmung erlassen. Gemäss Art. 405 unterliegen die Rechtsmittel dem Recht, das bei der Eröffnung des Entscheides in Kraft ist (Abs. 1). Der Begriff des Rechtsmittels ist weit zu verstehen und umfasst sowohl die Berufung (Art. 308 ff.) und die Beschwerde (Art. 319 ff.) als auch die Berichtigung und die Erläuterung (Art. 334; BGE 139 III 379 E. 2.3, Anm. unter Art. 334, B.2.a.). Der Begriff „Eröffnung des Entscheides“ stellt auf das Datum des Versands des Dispositivs ab (BGE 137 III 127 E. 2; 137 III 130 E. 2, Anm. unter Art. 405 Abs. 1, B.). Die Aufhebung des Entscheids und die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz bedeutet, dass letztere das Verfahren in dem Stand, in dem sich die Streitigkeit befand, unter Anwendung des alten Rechts wieder aufnehmen muss (BGer 4A_641/2011 vom 27. 1. 2012 E. 2.2, Anm. unter Art. 405 Abs. 1, C.). Die Revision von nach altem Recht eröffneten Entscheiden richtet sich diese nach dem neuen Recht (Art. 405 Abs. 2).
6 Gemäss Art. 406 richtet sich die Gültigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung nach dem Recht, das zur Zeit ihres Abschlusses gegolten hat. Wurde die Vereinbarung vor dem 1. Januar 2001 abgeschlossen, ist das damals geltende kantonale Recht oder Bundesrecht anwendbar. Wurde sie zwischen dem 1. Januar 2001 und dem 31. Dezember 2010 getroffen, gilt Art. 9 GestG. Für nach dem 1. Januar 2011 abgeschlossene Gerichtsstandsvereinbarungen kommt Art. 17 ZPO zur Anwendung. Art. 406 erfasst nicht die Wirkungen der Gerichtsstandsvereinbarung, die nach Inkrafttreten der ZPO beurteilt werden. Diesbezüglich gilt die ZPO. So ist der vereinbarte Gerichtsstand nach Art. 17 Abs. 1, 2. Satz ZPO exklusiv, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben (DIKE ZPO-Füllemann, Art. 406 N 3; PC CPC-Heinzmann/Grunho Pereira, Art. 406 N 6; vgl. auch BGE 129 III 80 E. 2.4 m.H. [Art. 39 GestG]).
7 Art. 407 regelt Fragen des Übergangsrechts für Schiedsvereinbarungen. Nach Abs. 1 beurteilt sich die Gültigkeit einer Schiedsvereinbarung nach dem für sie günstigeren Recht. Schiedsverfahren, die bei Inkrafttreten der ZPO rechtshängig waren, unterliegen dem alten Recht, es sei denn, die Parteien vereinbaren die Anwendung von Art. 353 ff. (Art. 407 Abs. 2). Am 1. Januar 2011 hängige Unterstützungsverfahren unterliegen ebenfalls dem alten Recht, wobei den Parteien hier nicht freisteht, die Anwendung der ZPO zu vereinbaren (Art. 407 Abs. 4). In Bezug auf die Rechtsmittel entspricht Art. 407 Abs. 3 Art. 405, d.h. es gilt das Recht, das bei der Eröffnung des Schiedsspruchs in Kraft war (PC CPC-Heinzmann/Grunho Pereira, Art. 407 N 7; Botschaft ZPO 2006, 7407).
8 Die Übergangsbestimmungen in den Kapiteln 2 bis 6 betreffen spätere Revisionen der ZPO. Es handelt sich um die Revisionen vom 28. September 2012 (Art. 407a [Protokollierungsvorschriften]), 20. März 2015 (Art. 407b [Kindesunterhalt]), 19. Juni 2015 (Art. 407c [Vorsorgeausgleich bei Scheidung]), 18. Dezember 2018 (Art. 407d [Verbesserung des Schutzes gewaltbetroffener Personen]) und 15. September 2020 (Art. 407e [Datenschutz]). Der Gesetzgeber hat den allgemeinen Grundsatz der sofortigen Anwendbarkeit des Rechts ab Inkrafttreten übernommen, vorbehaltlich einiger Besonderheiten in den Bereichen des Kindesunterhalts und des Vorsorgeausgleichs (Art. 407b Abs. 2 und 407c Abs. 2).
9 Für andere Revisionen der ZPO wurden keine spezifischen Übergangsbestimmungen erlassen (z.B. die Änderung der Art. 5 Abs. 1 lit. h, 40 Abs. 2 und 270 Abs. 1). In diesen Fällen befürworten wir die Anwendung Grundsatzes der sofortigen Anwendung des revidierten Rechts bei dessen Inkrafttreten (oben N 2). Die Übergangsbestimmungen in Art. 404-407, die in einem gesonderten Kapitel (Kapitel 1) des 3. Titels des 4. Teils der ZPO stehen, sind auf die einzigartige Situation des Übergangs vom kantonalen Verfahrensrecht zur eidgenössischen ZPO zugeschnitten. Für weniger bedeutsame Revisionen ist eine Anwendung dieser Regelung nicht gerechtfertigt (vgl. ZPO-PC Heinzmann/Grunho Pereira, Art. 404 N 12 f.; contra: BSK ZPO-Willisegger, art. 407f N 2).
10 Die Revision der ZPO wurde am 17. März 2023 von den Räten verabschiedet und tritt am 1. Januar 2025 in Kraft. Rechtsuchenden soll der Zugang zum Gericht erleichtert werden (Botschaft ZPO 2020, 2698). Auch wenn zahlreiche Bestimmungen geändert oder neu eingeführt wurden, handelt es sich nicht um eine tiefgreifende Revision der ZPO. Viele Änderungen beschränken sich darauf, die Rechtsprechung zu kodifizieren oder zu korrigieren und Unklarheiten zu eliminieren, sodass in materieller Hinsicht letztlich nur wenige Neuerungen zu finden sind.
11 Weder der Vorentwurf von 2018 noch der Entwurf vom 26. Februar 2020 enthält Übergangsbestimmungen. Es stellte sich daher die Frage, ob die revidierten Bestimmungen nach dem Grundsatz von Art. 2 SchlT ZGB sofort hätten anwendbar sein sollen, oder ob die in den Art. 404 bis 407 ZPO vorgesehenen Grundsätze hätten zum Tragen kommen sollen. Die sofortige Anwendung der revidierten Bestimmungen hätte die angemessenere Lösung dargestellt, da es sich bereits damals nicht um eine tiefgreifende, mit der Verabschiedung der vereinheitlichten ZPO vergleichbare Revision des Zivilprozessrechts handelte (PC CPC-Heinzmann/Grunho Pereira, Art. 404 N 14).
12 In den parlamentarischen Debatten verabschiedeten die Kammern jedoch mit Art. 407f eine eigentümliche Übergangsbestimmung. Diese erklärt einen Teil der revidierten Normen für auf bei Inkrafttreten der Revision rechtshängige Verfahren anwendbar. Die Bestimmung wurde auf Vorschlag der Rechtskommissionen der beiden Räte verabschiedet, welche sich zunächst nicht über die Liste der betroffenen Gesetzesartikel einig waren (insbesondere Art. 63 Abs. 1, 141a, 141b und 239 Abs. 1 nZPO). Im Anschluss an das Bereinigungsverfahren verabschiedete das Parlament Art. 407f in seiner definitiven Fassung (AB 2021 E 693; AB 2022 N 710 f.; AB 2022 E 651; AB 2022 N 2262; AB 2023 E 10; AB 2023 N 219; AB 2023 E 244 f.; AB 2023 N 528 ff.). Auch diese Bestimmung tritt am 1. Januar 2025 in Kraft.
a) Das System
13 Nach Art. 407f gelten Art. 8 Abs. 2, 2. Satz, 63 Abs. 1, 118 Abs. 2, 2. Satz, 141a, 141b, 143 Abs. 1bis, 149, 167a, 170a, 176 Abs. 3, 176a, 177, 187 Abs. 1, 3. Satz und 2, 193, 198 lit. bbis, f, h und i, 199 Abs. 3, 206 Abs. 4, 210 Abs. 1 Einleitungssatz und lit. c, 239 Abs. 1, 298 Abs. 1bis, 315 Abs. 2 bis 5, 317 Abs. 1bis, 318 Abs. 2, 325 Abs. 2, 327 Abs. 5 und 336 Abs. 1 und 3 auch für Verfahren, die bei Inkrafttreten der Änderung vom 17. März 2023 rechtshängig sind.
14 Die in Art. 407f genannten Bestimmungen sind sofort auf Verfahren anwendbar, die am 1. Januar 2025 rechtshängig sind. E contrario sind die anderen revidierten Bestimmungen nicht sofort anzuwenden. Diese gelten nur für Verfahren, die am 1. Januar 2025 noch nicht „rechtshängig“ sind. Die Auslegung von Art. 407f wirft mehrere Fragen auf. Da diese Bestimmung im Parlament ohne Diskussion verabschiedet wurde, ist es schwierig, den Willen des Gesetzgebers zu eruieren.
15 Die Kernfrage betrifft die Auslegung des Begriffs „rechtshängig“. Die Antwort auf diese Frage bestimmt, ab welchem Zeitpunkt die nZPO vollumfänglich angewendet werden kann.
16 In der deutschen und italienischen Fassung bezieht sich der Gesetzgeber auf den Begriff der Rechtshängigkeit („rechtshängig“ und „pendenti“). Im französischen Text ist hingegen von „procédures en cours“ (laufende Verfahren) und nicht von „litispendance“ (Rechtshängigkeit) die Rede. Die Rechtshängigkeit entsteht nun aber bereits mit der Einreichung der verfahrenseinleitenden Eingabe (Art. 62 Abs. 1 ZPO) und dauert bis zum Abschluss der letzten Instanz – d.h. in der Regel bis zum Eintritt der Rechtskraft des Entscheids oder seines Surrogats – an (PC CPC-Chabloz Art. 62 N 20 ff.). Folgte man diesem Konzept, wäre die nZPO (abgesehen von den in Art. 407f genannten Bestimmungen) nie auf ein vor dem 1. Januar 2025 eingeleitetes Verfahren anwendbar (Tappy, N 7) – selbst wenn vor diesem Datum ledigich ein Schlichtungsgesuch gestellt wurde. U.E. ist diese Auffassung abzulehnen, weil damit eine erhebliche Abweichung vom allgemeinen Grundsatz der sofortigen Anwendbarkeit prozessualer Normen einhergehen würde (oben N 2). Unter Berücksichtigung der Dauer eines erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens würde sich die Anwendung der revidierten Bestimmungen um mehrere Jahre verzögern. Dies kann nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen (gl.M. jedenfalls in Bezug auf die zweite Instanz, für die sie die Anwendung von Art. 405 befürworten: Tappy, a.a.O.; BSK ZPO-Willisegger, art. 407f N 16). Für das Übergangsrecht kann nicht von einem monolithischen Verständnis des „rechtshängigen Verfahrens“ ausgegangen werden.
17 Die meisten Autoren, die sich zu diesem Thema geäussert haben, plädieren für eine (analoge) Anwendung von Art. 404 und 405 ZPO, die für die Rechtsmittel eine gesonderte Regelung vorsehen (oben N 4 f.). Für am 1. Januar 2025 hängige Verfahren sollte erstinstanzlich weiterhin das alte Recht gelten, das zweitinstanzliche Verfahren jedoch nach neuem Recht geführt werden, wenn der angefochtene Entscheid den Parteien nach diesem Datum eröffnet wurde (Balmer, S. 565; Hofmann/Lüscher, S. 429; Tappy, N 7; vgl. auch DIKE ZPO-Müller, Art. 407a N 1; BSK ZPO-Willisegger, art. 407f N 7 et 17). Jedoch wird im System von Art. 407f sowohl von einem umfassenden Verweis auf den Grundsatz der unmittelbaren Anwendbarkeit, der nur für einen Teil dieser Revision gilt (oben N 13 f.), als auch von einem Verweis auf Art. 404-407 abgesehen. Der Aufbau dieser Bestimmung ist im Übrigen ganz anders: Während Art. 404 das erstinstanzliche Verfahren betrifft, dem allenfalls das Schlichtungsverfahren vorangeht, und Art. 405 das Rechtsmittelverfahren regelt, werden in Art. 407f Bestimmungen aufgeführt, die das Schlichtungsverfahren, das erstinstanzliche Verfahren und das zweitinstanzliche kantonale Verfahren betreffen. Des Weiteren verzichtet Art. 407f nicht nur auf einen Verweis auf Art. 404-407. Er befindet sich auch in einem gesonderten Kapitel des Gesetzes (Kapitel 7 des 3. Titels, nicht Kapitel 1 des 3. Titels). Somit deutet nichts – weder der Text von Art. 407f, noch die Materialen oder die Systematik des Gesetzes – darauf hin, dass man sich zur Auslegung von Art. 407f auf Art. 404-407 beziehen soll, welche zudem wie bereits ausgeführt im besonderen Kontext des Übergangs vom kantonalen Verfahrensrecht zur eidgenössischen ZPO erlassen wurden. Bei einer blossen Revision der ZPO ist die Ausgangslage eine ganz andere (oben N 10).
18 Daraus folgt u.a., dass der Begriff „rechtshängig“ nicht bedeutet, dass das Verfahren vor der ersten Instanz durch die Eröffnung des Dispositivs des Entscheids vom Verfahren vor der zweiten kantonalen Instanz abzugrenzen ist. Diese Interpretation würde bedeuten, Art. 405 (allenfalls analog) anzuwenden, d.h. das zweitinstanzliche Verfahren dem im Zeitpunkt der Eröffnung des Entscheids anwendbaren Recht zu unterstellen (für eine solche Auslegung: Hofmann/Lüscher, S. 429; Tappy, N 8; BSK ZPO-Willisegger, art. 407f N 17). Diesen Ansatz gilt es nach unserem Dafürhalten abzulehnen, da er bisweilen zu erheblichen Verzögerungen bei der Umsetzung des nZPO führen würde. Denn die Frist zwischen der Zustellung des Entscheids und der Einreichung der Berufung oder Beschwerde kann beträchtlich sein, insbesondere bei einem ohne schriftliche Begründung eröffneten Entscheid (Art. 239 Abs. 1). Gemäss Rechtsprechung genügt die Eröffnung des Dispositivs für die Zustellung des Entscheids, eine schriftliche Begründung ist hierfür nicht notwendig (BGE 137 III 127 E. 2, Anm. Unter Art. 405 Abs. 1, B.). Folglich würde eine vor dem 1. Januar 2025 erfolgte Eröffnung eines Dispositivs zur Anwendung der nicht revidierten ZPO bis zum Ende des zweitinstanzlichen Verfahrens führen, selbst wenn die Berufung oder Beschwerde mehrere Monate später innert der durch die Zustellung des begründeten Entscheids (Art. 239 Abs. 2; Art. 311 Abs. 1 und 321 Abs. 1) ausgelösten Frist eingereicht wurde (ein Nachteil, der von Balmer, S. 565, angesprochen und von Tappy, N 8, erwähnt wird). Auch dies wäre eine erhebliche Abweichung vom allgemeinen Grundsatz der sofortigen Anwendbarkeit prozessualer Bestimmungen. Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber von 2023 nur einige der verabschiedeten Bestimmungen (Art. 407f) direkt diesem Grundsatz unterstellt hat, lässt sich im Umkehrschluss nicht ableiten, dass er in Kauf genommen hat, dass die Anwendung der übrigen Bestimmungen um mehrere Jahre verzögert wird, zumal er keinerlei Hinweise in diese Richtung gegeben hat, z.B. in Form eines Verweises auf Art. 404 ff. Vielmehr ist mit Blick auf die moderate Tragweite der Revision (oben N 10) festzuhalten, dass deren Anwendung ohne Verzögerung erfolgen kann und muss.
19 Da die Anwendung von Art. 404-407 auszuschliessen ist, bleibt zu bestimmen, welche Auslegung des Begriffs „rechtshängiges Verfahren“ am besten dem oben erwähnten Bedürfnis entspricht, die in Art. 407f nicht erwähnten revidierten Bestimmungen ohne (zu grosse) Verzögerung anzuwenden. Der Umstand, dass in Art. 407f im Gegensatz zu Art. 404 und 405 unterschiedslos auf alle Verfahrensabschnitte Bezug genommen wird, bietet einen Anhaltspunkt dafür, dass diese Abschnitte unabhängig voneinander zu betrachten sind: Verfahren vor der Schlichtungsbehörde, erstinstanzliches Verfahren und zweitinstanzliches kantonales Verfahren (zur Unabhängigkeit des Berufungsverfahrens vom erstinstanzlichen Verfahren vgl. z.B. BGer 5A_469/2019 vom 17.11.2020 E. 5.4.2 m.H.; zur Abgrenzung zwischen Schlichtungs- und erstinstanzlichem Verfahren vgl. insb. BGE 138 III 615 c. 2, Anm. unter Art. 209 Abs. 3 und 4). Dies hat zur Folge, dass jede dieser Prozessphasen ab der Einreichung der Eingabe, mit welcher die jeweilige Phase eingeleitet wird, bis zu ihrem Abschluss durch die Erteilung einer Klagebewilligung oder durch einen begründeten Endentscheid (unten N 27 ff.) – oder ein Entscheidsurrogat (Art. 241 ZPO) – „rechtshängig“ („en cours“) ist. Anders ausgedrückt: Jede Verfahrensphase ist gesondert von den anderen Verfahrensphasen zu betrachten.
20 Diese Lösung verhindert Verzögerungen bei der Anwendung der nZPO, die sich insbesondere aus der potenziell grossen Zeitspanne zwischen der Eröffnung des Dispositivs des erstinstanzlichen Entscheids – welche für die Bestimmung des im zweitinstanzlichen Verfahren geltenden Rechts massgeblich ist, wenn man von der analogen Anwendung von Art. 405 ausgeht (oben N 17 f.) – und der Einlegung der Berufung oder der Beschwerde ergeben. Mit dem hier vorgeschlagenen Ansatz wird eine zügige Anwendung der nZPO angestrebt: Wird die Berufung vor dem 1. Januar 2025 eingereicht, bleibt das nicht revidierte Verfahrensrecht vorbehältlich der in Art. 407f genannten Bestimmungen anwendbar, während bei Einreichung der Eingabe ab diesem Datum die nZPO Anwendung findet, und zwar selbst wenn der angefochtene Entscheid den Parteien vor dem 1. Januar 2025 eröffnet worden ist.
21 Nach unserer Lösung wird auch zwischen der Schlichtungsphase und der erstinstanzlichen Phase unterschieden. Die Schlichtungsphase endet spätestens mit der Erteilung der Klagebewilligung (BGE 138 III 615 c. 2.3, Anm. unter Art. 209 Abs. 3 und 4) und die erstinstanzliche Verfahrensphase beginnt mit der Einreichung der Klage beim Gericht (Art. 220). Daraus folgt, dass die Verfahrensschritte vor der Schlichtungsbehörde und das erstinstanzliche Verfahren nicht demselben Verfahrensrecht unterliegen, wenn die Klage nach dem 1. Januar 2025 eingereicht wird, selbst wenn die Klagebewilligung bereits im Jahr 2024 ausgestellt wurde (zur Gültigkeitsdauer der Klagebewilligung vgl. unten N 27 f.). Auch hier wird dadurch eine zügige Anwendung der nZPO gewährleistet.
22 Bei einer Rückweisung von der oberen Instanz an die untere Instanz nimmt diese das Verfahren im Stadium wieder auf, in dem es sich vor Erlass des Entscheids befand, und wendet das zu diesem Zeitpunkt geltende Recht an (BGer 4A_641/2011 vom 27. 1. 2012 c. 2.2). Betrifft ein Rückweisungsentscheid einen Entscheid, der in Anwendung der nicht revidierten ZPO ergangen ist, muss die Vorinstanz diese anwenden, unter Vorbehalt der in Art. 407f genannten Bestimmungen, die ab dem 1. Januar 2025 anwendbar sind. Der Umstand, dass die nach dem 1. Januar 2025 angerufene zweite Instanz ein anderes Verfahrensrecht (nZPO) anwendet als die erste Instanz ist unproblematisch, es sei denn, die zweite Instanz beschliesst, das Beweisverfahren nach der nZPO selbst zu ergänzen (zit. BGer 4A_641/2011, ibid.). Um eine einheitliche Anwendung des Verfahrensrechts in Bezug auf erstinstanzliche Handlungen zu gewährleisten, sollte die Rechtsmittelinstanz die Sache bei mangelhafter Instruktion an die Vorinstanz gestützt auf 318 Abs. 1 lit. c und 327 Abs. 3 lit. a zurückweisen. Die Vorinstanz kann alsdann die Beweisabnahme nach dem Recht ergänzen, das sie zuvor angewendet hat, unter Vorbehalt der sofortigen Anwendung der in Art. 407f genannten Bestimmungen. So kann sie z.B. einen Zeugen mit Hilfe elektronischer Bild- und Tonübertragungsmittel befragen (vgl. Art. 170a, in Art. 407f genannt).
23 Die zielführendste Lösung besteht somit darin, davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit dem Ausdruck „rechtshängiges Verfahren“ nicht die Rechtshängigkeit im Sinne von Art. 62 meint, sondern vielmehr die einzelnen Verfahrensschritte anvisiert, nämlich das Schlichtungsverfahren, das erstinstanzliche Verfahren und das kantonale Rechtsmittelverfahren. Es handelt sich um gesonderte Verfahrensphasen, welche mit der sie jeweils einleitenden Eingabe (Schlichtungsgesuch, Klage oder Rechtsmittel) „hängig“ werden. „Hängig“ bleibt der Verfahrensabschnitt bis zum Erlass des erledigenden Aktes (Klagebewilligung, Endentscheid oder Entscheidsurrogat). Mit anderen Worten führt jede nach dem 1. Januar 2025 erfolgte Eingabe, mit der eine dieser Phasen des Prozesses eingeleitet wird, zur Anwendung der nZPO.
24 Ohne Anspruch auf Vollständigkeit werden im Folgenden eine Reihe von Sonderfragen erörtert.
b) Einige Anwendungsfälle der Übergangsregelung
i. Der Entscheid gemäss Art. 212 ZPO
25 Gemäss Art. 212 Abs. 1 kann die Schlichtungsbehörde auf Antrag der klagenden Partei in vermögensrechtlichen Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von CHF 2’000.- in der Sache selbst entscheiden. Bevor die Behörde einen Entscheid fällt, führt sie eine Schlichtungsverhandlung durch und erlässt eine prozessleitende Verfügung, in welcher sie das Scheitern des Schlichtungsversuchs sowie die Eröffnung des Verfahrens in der Sache zu Protokoll nimmt (PC CPC-Clément, Art. 356 N 6). Das Entscheidverfahren ist somit vom eigentlichen Schlichtungsverfahren getrennt.
26 Bei einem vor dem 1. Januar 2025 eingeleiteten Schlichtungsverfahren ist die nZPO unseres Erachtens dann auf die Entscheidphase anzuwenden, wenn die prozessleitende Verfügung, die den Beginn des Entscheidverfahrens anordnet, ab dem 1. Januar 2025 eröffnet wird. Sollte die Behörde ihre Meinung ändern und auf eine Beurteilung in der Sache verzichten (BGE 142 III 638 E. 3.4, Anm. unter Art. 212 Abs. 1), wird das Schlichtungsverfahren in Anwendung der nicht revidierten ZPO wieder aufgenommen. Z.B. kann sie bei einem im Jahr 2024 eingereichten Schlichtungsgesuch im Januar 2025 eine prozessleitende Verfügung erlassen, die den Beginn des Entscheidverfahrens gemäss nZPO zur Folge hat. Kommt sie auf ihre Verfügung zurück, nimmt sie das Schlichtungsverfahren in Anwendung der nicht revidierten ZPO wieder auf und kann gestützt auf den in Art. 407f aufgeführten Art. 210 Abs. 1 lit. c einen Entscheidvorschlag formulieren.
ii. Die Frist für die Gültigkeit der Klagebewilligung
27 Der Vorbehalt in Art. 209 Abs. 4 zugunsten anderer gesetzlicher oder gerichtlicher Klagefristen wurde im Rahmen der Revision gestrichen. Diese Bestimmung ist in Art. 407f nicht aufgeführt. Es stellt sich daher die Frage, welches Recht die Frist für die Einreichung der Klage in der Sache regelt, wenn eine andere gesetzliche Klagefrist gelten könnte (wobei zu betonen ist, dass der Vorbehalt für gerichtliche Klagefristen ohnehin bedeutungslos ist, vgl. BGE 140 III 561 E. 2.2.1, Anm. unter Art. 209 Abs. 3 und 4).
28 Die Schlichtungsphase endet spätestens mit der Erteilung der Klagebewilligung (BGE 138 III 615 E. 2.3, Anm. Unter Art. 209 Abs. 3 und 4), während die erstinstanzliche Verfahrensphase mit der Einreichung der Klage beim Gericht (Art. 220) beginnt (oben N 21). Da das Vorliegen einer gültigen Klagebewilligung und folglich die Einhaltung der Frist für die Gültigkeit der Klagebewilligung (Art. 209) eine Eintretensvoraussetzung ist (BGE 139 III 273 E. 2.1, Anm. unter Art. 59 Abs. 2, B.a.), ist die Frist nach dem für das erstinstanzliche Verfahren geltenden Recht zu bestimmen. Wenn die Klage im Jahr 2025 beim Gericht eingereicht wird, gilt somit das neue Recht, auch wenn die Klagebewilligung im Jahr 2024 erteilt wurde (oben N 21; in Anwendung von Art. 404 würde hingegen nicht zwischen dem Schlichtungs- und dem erstinstanzlichen Verfahren unterschieden: BGE 138 III 792 E. 2.3 und 2.6, Anm. unter Art. 404 Abs. 1, B.). Daraus folgt insbesondere, dass die Frist für die Einreichung der Klage beim Gericht nach Scheitern des Schlichtungsversuchs bei einer Arrestprosekutionsklage, die gemäss Vorbehalt im nicht revidierten Art. 209 Abs. 4 ZPO i.V.m. Art. 279 Abs. 2 SchKG nur 10 Tage beträgt (vgl. Botschaft 2006, S. 7333), ex post auf 3 Monate verlängert wird (Art. 209 Abs. 3 ZPO und 209 Abs. 4 nZPO). Wird also die Klage im Jahr 2025 innerhalb von drei Monaten beim Gericht eingereicht, ist die Klagebewilligung nicht verwirkt, auch wenn diese im Jahr 2024 erteilt wurde. Nichtsdestotrotz sollten Rechtsvertreterinnen und Rechtsvertreter vorsichtshalber die am Tag der Einreichung des Schlichtungsgesuchs geltende Frist einhalten. Denn sollten die Gerichte entgegen der hier vorgeschlagenen Lösung die Frist von Art. 279 Abs. 2 SchKG anwenden, wenn das Schlichtungsgesuch vor dem 1. Januar 2025 eingereicht wurde, fällt der Arrest dahin, wenn die Klage nicht innert zehn Tagen eingereicht wird.
iii. Die Begründung des Entscheids
29 Das erstinstanzliche Gericht ist ab dem Moment, ab dem der Entscheid getroffen wird, nicht mehr mit der Rechtssache befasst (BGer 4A_61/2023* vom 25.6.2024 E. 5.2.1). Da das Gericht seinen Entscheid später nicht mehr ändern kann, ist die Begründungsphase als Fortsetzung der Entscheidphase zu betrachten. Das erstinstanzliche Verfahren ist also bis zum Erlass des begründeten Entscheids „rechtshängig“ (oben N 19), sodass die schriftliche Begründung eines eröffneten Entscheids (Art. 239 Abs. 1) noch zum erstinstanzlichen Verfahren gehört. Wird also das Dispositiv unter der nicht revidierten ZPO (vor dem 1. Januar 2025) eröffnet, der Entscheid aber erst 2025 begründet, richtet sich die Begründung nach der nicht revidierten ZPO. Dasselbe gilt für die Begründung von zweitinstanzlichen Entscheiden, allerdings unter Vorbehalt der Art. 318 Abs. 2 und 327 Abs. 5 nZPO, die gemäss Art. 407f sofort anwendbar sind (unten N 48).
iv. Die Rechtsmittel
30 Die revidierten Rechtsmittelfristen (Art. 314 Abs. 2 und 321 Abs. 2 nZPO) sind in Art. 407f nicht erwähnt. Es stellt sich die Frage, welches Recht diese Fristen regelt.
31 Die Einhaltung der Frist für die Einreichung des Rechtsmittels ist Voraussetzung für dessen Zulässigkeit. Die Frist steht daher in engem Zusammenhang mit dem Rechtsmittelverfahren und sollte demselben Recht unterliegen. Dafür spricht auch, dass die Frist für die Berufungsantwort und die Anschlussberufung in derselben Bestimmung geregelt sind (Art. 314 Abs. 2). Wenn die Frist für die Anschlussberufung zum Rechtsmittelverfahren gehört und vom auf das Rechtsmittelverfahren anwendbaren Recht geregelt ist, muss dies auch für die Frist zur Einreichung des Rechtsmittels gelten.
32 Damit sind die revidierten Fristen für Rechtsmittel anwendbar, die ab dem 1. Januar 2025 eingereicht werden, auch wenn der angefochtene Entscheid im Jahr 2024 eröffnet wurde, was ebenfalls eine raschere Anwendung des neuen Rechts ermöglicht (a.M. Hofmann/Lüscher, S. 429, für welche die neuen Rechtsmittelfristen gemäss Art. 405 gegen nach Inkrafttreten der Revision eröffnete Entscheide gelten; oben N 17 f.). Andernfalls kämen die revidierten Fristen nur für Entscheide zur Anwendung, wenn das Dispositiv nach dem 1. Januar 2025 eröffnet wurde.
33 Gegen einen begründeten Entscheid über Eheschutzmassnahmen, der am 19. Dezember 2024 zugestellt wurde, verfügen die Parteien somit über eine Frist von 30 Tagen, um eine Berufung einzureichen (Art. 314 Abs. 2 nZPO). Denn die Berufung kann im Jahr 2025 in Anwendung der nZPO eingereicht werden. Auch hier besteht für Anwältinnen und Anwälte ein gewisses Risiko. Da die diskutierte Frage gerichtlich noch nicht geklärt werden konnte, wird eine umsichtige Partei die Berufung innerhalb der in Art. 314 Abs. 1 ZPO vorgesehenen Frist von 10 Tagen (die nicht dem Fristenstillstand unterliegt, vgl. Art. 145 Abs. 2) einreichen. Anzumerken ist, dass der Berufungskläger, der seine Berufung gegen einen Eheschutzmassnahmenentscheid im Dezember 2024 einreicht, den Berufungsbeklagten an der Einreichung einer Anschlussberufung hindert (die nur nach Art. 314 Abs. 2 nZPO zulässig ist).
34 Zu beachten ist ferner, dass Art. 315 Abs. 4 und 5 sowie Art. 325 Abs. 2 nZPO, die es den Parteien ermöglichen, die Aufschiebung der Vollstreckbarkeit oder die vorzeitige Vollstreckbarkeit zu beantragen, ab dem 1. Januar 2025 unmittelbar anwendbar sind (Art. 407f). Die Frage des zu dieser Frage anwendbaren Rechts ist daher nicht strittig.
v. Die Rüge der falschen Rechtsanwendung
35 Zu unterscheiden ist zwischen dem Recht, das das Rechtsmittelverfahren regelt, und dem Recht, das auf die Prüfung der Rügen anzuwenden ist. Ein Berufungs- oder Beschwerdeverfahren unterliegt der nZPO, wenn das Rechtsmittel ab dem 1. Januar 2025 eingereicht wird. Rügt eine Partei die fehlerhafte Anwendung der ZPO durch die Vorinstanz, erfolgt die Prüfung der Rechtsverletzung nach dem von der Vorinstanz angewandten Recht, d.h. in Anwendung der nicht revidierten ZPO. Andernfalls käme es zu einer unzulässigen rückwirkenden Anwendung des neuen Rechts (BGE 149 III 145 E. 2.6.1).
vi. Das Schiedsverfahren
36 Keine der revidierten Bestimmungen über die interne Schiedsgerichtsbarkeit ist in Art. 407f aufgeführt. Sie dürften daher erst auf Schiedsverfahren anwendbar sein, die ab dem 1. Januar 2025 eingeleitet werden. Allerdings können die Parteien das Schiedsverfahren frei regeln (Art. 373 Abs. 1). Sie könnten sich also auch schon vor dem 1. Januar 2025 für die Anwendung der nZPO entscheiden. Dies entspricht der Übergangsregelung von Art. 407 Abs. 2 (PC-CPC Heinzmann/Grunho Pereira, Art. 407 N 5 f.). Anders verhält es sich für die Hilfsverfahren (Art. 356), die in die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte fallen (PC CPC-Göksu, Art. 356 N 13). Diese wenden die nZPO (Art. 356 Abs. 3, 2. Satz) nur auf unterstützende Tätigkeiten an, die ab dem 1. Januar 2025 beantragt werden (vgl. Art. 407 Abs. 4 ; PC CPC-Heinzmann/Grunho Pereira, Art. 407 N 9 s.).
37 Art. 407f schafft eine Vorwirkung für die darin aufgeführten, als sofort anwendbar erklärten Bestimmungen. Da ein Verfahren mehrere Monate oder sogar Jahre dauern kann, müssen diese auch in Verfahren berücksichtigt werden, die im Jahre 2024 eingeleitet worden sind. Die Tragweite dieser Vorwirkung hängt von der jeweiligen Bestimmung ab.
38 – Art. 8 Abs. 2, 2. Satz: Das für direkte Klagen zuständige obere Gericht ist auch für die Anordnung vorsorglicher Massnahmen vor Eintritt der Rechtshängigkeit zuständig. Diese Ergänzung stellt lediglich eine Kodifizierung der Praxis dar (Honegger-Müntener/Rufibach/Schumann, S. 1161), sodass die Aufführung der Bestimmung in Art. 407f ohne Bedeutung ist.
39 – Art. 63 Abs. 1 und 143 Abs. 1bis: Gemäss Art. 143 Abs. 1bis gilt eine Eingabe als rechtzeitig erfolgt, wenn sie irrtümlich bei einer unzuständigen Schlichtungsbehörde oder einem unzuständigen schweizerischen Gericht eingereicht wurde. Ein Schlichtungsgesuch oder eine Klage wird von Amtes wegen weitergeleitet und die Rechtshängigkeit bleibt gewahrt (Art. 63 Abs. 1 nZPO). Da diese Bestimmungen in Art. 407f erwähnt sind, müssen die Gerichte und Schlichtungsbehörden sie ab dem 1. Januar 2025 auch auf Eingaben anwenden, die vor diesem Datum eingereicht wurden. Die Eintretensvoraussetzungen sollten grundsätzlich sobald als möglich geprüft werden (BGE 140 III 159 E. 4.2.4), sodass die Vorwirkung dieser Bestimmungen nur für Klagen und Schlichtungsgesuche zum Tragen kommt, die gegen Ende 2024 erfolgten, vorbehältlich eines früher eingereichten aber vom Gericht oder der Schlichtungsbehörde sistierten Verfahrens (Art. 126 ZPO).
40 – Art. 118 Abs. 2, 2. Satz: Die unentgeltliche Rechtspflege kann auch für die vorsorgliche Beweisführung bewilligt werden. Die Revision korrigiert die bundesgerichtliche Rechtsprechung (BGE 140 III 12, E. 3.3, Anm. unter art. 117, B.; Honegger-Müntener/Rufibach/Schumann, S. 1177). Die Vorwirkung betrifft Verfahren, die am 1. Januar 2025 noch hängig sind. Da es sich um ein schnelles Verfahren handeln sollte (wie für vorsorgliche Massnahmen; Art. 158 Abs. 2), dürfte sich dieser Bestimmung – vorbehaltlich einer Sistierung des Verfahrens – nur auf Verfahren auswirken, die gegen Ende 2024 eingeleitet wurden. Allerdings wird die unentgeltliche Rechtspflege grundsätzlich nicht rückwirkend gewährt (Art. 119 Abs. 4 ZPO). Es ist immerhin möglich, dass bestimmte Kosten (z.B. die Kosten für ein Gutachten) von der unentgeltlichen Rechtspflege erfasst werden, etwa wenn das Gericht das Gutachten im Jahr 2025 anordnet.
41 – Art. 141a, 141b, 170a, 176 Abs. 3, 176a, 193, 298 Abs. 1bis: In Zivilverfahren, die am 1. Januar 2025 hängig sind, ist der Einsatz elektronischer Mittel zur Ton- und Bildübertragung zulässig. Anwältinnen und Anwälte können somit bereits Ende 2024 den Einsatz solcher Mittel für Gerichtsverhandlungen im Jahr 2025 beantragen. Zu beachten ist, dass Art. 133 lit. d nZPO, der den Inhalt der Vorladung bei Einsatz elektronischer Mittel zur Ton- und Bildübertragung regelt, in Art. 407f nicht aufgeführt ist. Dabei handelt es sich zweifellos um ein Versehen des Gesetzgebers (Honegger-Müntener/Rufibach/Schumann, S. 1187). Die Angabe in der Vorladung ist daher auch dann erforderlich, wenn die Klage im Jahr 2024 eingereicht wurde.
42 – Art. 149: Diese Bestimmung kodifiziert die Rechtsprechung (BGE 139 III 478, E. 6.3 und 7.3 , Anm. unter Art. 149, B.; Honegger-Müntener/Rufibach/Schumann, S. 1180), wonach gegen die Verweigerung der Wiederherstellung einer Frist, die einen definitiven Rechtsverlust bewirkt, ein Rechtsmittel eingelegt werden kann. Die sofortige Anwendung dieser Bestimmung ist daher ohne Bedeutung.
43 – Art. 167a: Demnach kann ein unternehmensinterner Rechtsdienst unter gewissen Voraussetzungen seine Mitwirkung und die Herausgabe von Unterlagen verweigern. Dieses Mitwirkungsverweigerungsrecht konkretisiert sich bei der Anhörung der Parteien oder Zeugen, welche ab dem 1. Januar 2025 stattfindet. Beweise, die vor dem Inkrafttreten der nZPO erlangt wurden, dürfen nicht aus den Akten entfernt werden, da sie rechtmässig erlangt wurden (Honegger-Müntener/Rufibach/Schumann, S. 1192; contra : BSK ZPO-Willisegger, art. 407f N 20).
44 – Art. 177, und 187 Abs. 1, 3. Satz, und Abs. 2: Privatgutachten sind gemäss revidiertem Recht Urkunden i.S.v. Art. 177. Entsprechend gelten sie in Verfahren, die vor dem Inkrafttreten der Revision eingeleitet wurden und nach dem 1. Januar 2025 fortgesetzt werden, als Beweismittel (contra : Honegger-Müntener/Rufibach/Schumann, S. 1192, die keine Auswirkungen dieser Bestimmungen auf laufende Verfahren sehen). Mit dem Inkrafttreten der Revision verwandelt sich ein nach altem Recht als Behauptung vorgelegtes Privatgutachten ex lege in ein Beweismittel. Wurde das Privatgutachten nicht ins Recht gelegt und ist die Phase der Behauptung bereits abgeschlossen (vgl. Art. 229, dessen revidierte Fassung nicht in Art. 407f enthalten ist), kann es als unechtes Novum ins Verfahren eingebracht werden (Art. 229 Abs. 1 lit. b; Tappy, N 25).
45 – Art. 198 lit. bbis, f, h und i, und Art. 199 Abs. 3: Der revidierte Art. 198 nennt zusätzliche Fälle, in denen kein Schlichtungsverfahren stattfindet (Klagen über den Unterhalt von minder- und volljährigen Kindern und weitere Kinderbelange ; Streitigkeiten, die gemäss Art. 7 in die Zuständigkeit einer einzigen kantonalen Instanz fallen ; Klagen, die innerhalb einer vom Gericht angesetzten Frist eingereicht werden müssen und mit diesen in einem sachlichen Zusammenhang stehende Klagen; Klagen vor dem Bundespatentgericht). Art. 199 Abs. 3 wurde ebenfalls revidiert. Nunmehr kann für Streitigkeiten, für welche nach Art. 5, 6 oder 8 eine einzige kantonale Instanz zuständig ist, ein Schlichtungsgesuch gestellt oder die Klage direkt beim Gericht eingereicht werden. Da diese Bestimmungen in Art. 407f aufgeführt sind, sollte das Gericht, das vor dem 1. Januar 2025 direkt mit der Klage in der Hauptsache befasst wird, die Klagen nicht mangels Durchführung eines Schlichtungsverfahrens zurückweisen. Das Verbot des überspritzten Formalismus verbietet es, den Kläger aufzufordern, seine Klage erneut einzureichen, wenn das Gericht die Möglichkeit hat, das Verfahren bis zum 1. Januar 2025 zu sistieren (Art. 126), da ab diesem Zeitpunkt die oben genannten Bestimmungen gelten und mithin die fehlende Eintretensvoraussetzung geheilt wird. Zu beachten ist freilich, dass dies nur für Klagen nach Art. 8 gilt, da für Klagen nach den Art. 5 und 6 gemäss der nicht revidierten ZPO ohnehin kein vorgängiges Schlichtungsverfahren sattfindet (Art. 198 lit. f). Dasselbe gilt für selbständige Unterhaltsklagen, die 2024 beim Gericht eingereicht werden, ohne dass die Voraussetzungen von Art. 198 lit. bbis der nicht revidierten ZPO erfüllt sind. Das Schlichtungsverfahren kann in diesen Fällen bereits übersprungen werden, wenn das Verfahren vom angerufenen Gericht sistiert wird. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass die Änderung von Art. 198 lit. h ZPO, welche insbesondere die Möglichkeit vorsieht, eine Klage auf definitive Eintragung des gesetzlichen Pfandrechts mit einer Klage auf Bezahlung der pfandgesicherten Forderung zu kombinieren, nur dann von Bedeutung ist, wenn man (u.E. zu Unrecht) davon ausgeht, dass es nach der nicht revidierten ZPO nicht möglich ist, eine vom Schlichtungsverfahren befreite Klage mit einer dem Schlichtungsverfahren unterliegenden Klage zu häufen (vgl. dazu Bastons Bulletti, Bem. in Newsletter ZPO Online 2022-N17 vom 25. August 2022).
46 – Art. 206 Abs. 4: Eine Partei, die an einer im Jahr 2025 stattfindenden Schlichtungsverhandlung säumig ist, kann mit einer Busse bestraft werden, auch wenn das Schlichtungsgesuch 2024 anhängig gemacht wurde (Heinzmann, N 61). Angesichts der Ordnungsfrist von Art. 203 Abs. 1, wonach die Verhandlung innert zwei Monaten seit Eingang des Gesuchs oder nach Abschluss des Schriftenwechsels stattzufinden hat, dürften nur Schlichtungsverfahren betroffen sein, die gegen Ende 2024 eingeleitet wurden.
47 – Art. 210 Abs. 1 Einleitungssatz und lit. c: Die Schlichtungsbehörde kann in Zukunft den Parteien bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von CHF 10’000.- einen Entscheidvorschlag unterbreiten. Aufgrund der bereits erwähnten Ordnungsfrist von Art. 203 Abs. 1 sind von dieser Regelung vor allem Schlichtungsverfahren betroffen, die gegen Ende 2024 eingereicht wurden (Heinzmann, N 65).
48 – Art. 239 Abs. 1, Art. 318 Abs. 2 und Art. 327 Abs. 5: Sowohl erstinstanzliche als auch zweitinstanzliche Gerichte sollen ihre Entscheide in der Regel zunächst ohne schriftliche Begründung eröffnen. Durch ihre Erwähnung in Art. 407f wird sichergestellt, dass diese Bestimmung möglichst bald angewendet wird. Für Berufungs- und Beschwerdeentscheide bedeutet dies, dass ab dem 1. Januar 2025 eine Urteilsbegründung zu verfassen ist, wenn eine der Parteien dies verlangt (Art. 239 Abs. 2). Die Frist beträgt allerdings nicht 10, sondern 30 Tage (Art. 239 Abs. 3 ZPO i.V.m. Art. 112 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 142 III 695 E. 4.1-4.2, Anm. unter Art. 239 Abs. 3 und unter Art. 318 Abs. 2, für den nicht revidierten Art. 318 Abs. 2 ZPO).
49 – Art. 315 Abs. 2 – 5, Art. 325 Abs. 2, und Art. 336 Abs. 1 und 3: Auf Gesuch der betroffenen Partei kann die Rechtsmittelinstanz die vorzeitige Vollstreckbarkeit eines Entscheids bewilligen und nötigenfalls sichernde Massnahmen oder die Leistung einer Sicherheit anordnen oder die Vollstreckbarkeit eines Entscheids aufschieben. Die Vorwirkung dieser Bestimmungen erlaubt es den Parteien, ein entsprechendes Gesuch ab dem 1. Januar 2025 zu stellen, selbst wenn ihnen lediglich das Dispositiv des Entscheids zugestellt wurde. Allerdings darf diesfalls die Frist für den Antrag auf Begründung bzw. die Berufungs- oder Beschwerdefrist noch nicht abgelaufen sein (Art. 315 Abs. 5 und 325 Abs. 2 nZPO; vgl. auch Art. 336 Abs. 3 nZPO). Art. 315 Abs. 2 nZPO sieht vor, dass eine Berufung gegen Entscheide über Anweisungen an die Schuldner und die Sicherstellung des Unterhalts keine aufschiebende Wirkung hat. Wurde die Berufung vor dem 1. Januar 2025 eingereicht, ist u.E. ein Antrag auf vorzeitige Vollstreckung nach altem Recht (Art. 315 Abs. 2 ZPO) bis Ende 2024 zulässig.
50 – Art. 317 Abs. 1bis: Die sofortige Anwendung dieser Bestimmung hat keine Tragweite, da sie lediglich die Rechtsprechung kodifiziert, wonach in Anwendung der uneingeschränkten Untersuchungsmaxime neue Tatsachen und Beweismittel bis zur Urteilsberatung im zweitinstanzlichen Verfahren zulässig sind (BGE 144 III 249 E. 4.2.1, Anm. unter Art. 317 Abs. 1, B.a.b.; Silas, N 122).
51 Die nicht in Art. 407f enthaltenen Bestimmungen sind auf Verfahren anzuwenden, die ab dem 1. Januar 2025 eingeleitet werden (oben N 23). Gewisse Bestimmungen sind für die Parteien vorteilhaft, sodass diese ein Interesse haben können, mit der Einreichung des Schlichtungsgesuchs oder der Klage zuzuwarten. Zu denken ist insbesondere an die neuen Kostenbestimmungen. Art. 98 Abs. 1 sieht vor, dass das Gericht oder die Schlichtungsbehörde von der klagenden Partei einen Vorschuss in der Höhe der Hälfte der mutmasslichen Gerichtskosten verlangen kann. Vorbehalten sind die in Abs. 2 aufgezählten Fälle. Besteht keine Dringlichkeit – zu denken ist an die Verjährung oder die Verwirkung –, ist es für die Klägerin sinnvoll, das Verfahren erst im 2025 einzuleiten (Heinzmann, N 79). Der Vorteil manifestiert sich auch und v.a. bezüglich der Kostenregelung. Der in Art. 407f nicht aufgeführte Art. 111 Abs. 1 sieht nämlich vor, dass die Verrechnung von Gerichtskosten mit Kostenvorschüssen nur erfolgt, wenn die Partei, welche den Vorschuss geleistet hat, kostenpflichtig ist. In den übrigen Fällen tragen die Kantone das Inkassorisiko (Honegger-Müntener/Rufibach/Schumann, S. 1177). Die Klägerin, die den Kostenvorschuss nach Art. 98 leisten muss, bzw. die Partei, die gemäss Art. 102 den Kostenvorschuss für ein von ihr beantragtes Beweismittel zu erbringen hat, muss somit nicht mehr gegen die unterlegene Gegenpartei vorgehen, um die von ihr geleisteten Vorschüsse zurückerstattet zu erhalten. Dieser Vorteil ist vor allem bei hohen Kostenvorschüssen oder bei drohender Insolvenz der Gegenpartei nicht zu vernachlässigen.
52 Andere Bestimmungen können sich für eine Partei als nachteilhaft erweisen. Zu denken ist etwa an den in Art. 407f nicht erwähnten Art. 106 Abs. 3, welcher die Möglichkeit des Gerichts, eine solidarische Haftung für die Prozesskosten aufzuerlegen auf die notwendige Streitgenossenschaft beschränkt (Honegger-Müntener/Rufibach/Schumann, S. 1176) und damit eine Rechtsprechung korrigiert, welche eine solidarische Haftung auch für die einfache Streitgenossenschaft zulässt (BGE 147 III 529 E. 4.3.2, Anm. unter Art. 106 Abs. 3).
53 Mit der Einführung von Art. 407f hat der Gesetzgeber offensichtlich einen Kompromiss zwischen unmittelbarer und verzögerter Anwendung der revidierten Bestimmungen gesucht. Dieser Kompromiss wirft jedoch mehr Fragen auf als er Probleme löst. Eine sofortige Anwendung der Bestimmungen wäre sinnvoll und leicht umsetzbar gewesen, denn die Revision der ZPO erfolgt in bereits konsolidierten Bahnen. Um nichtsdestotrotz eine rasche Umsetzung der revidierten ZPO zu gewährleisten, schlagen wir vor, den Begriff „rechtshängig“ („procédure en cours“) dahingehend auszulegen, dass zwischen den drei Hauptphasen eines Zivilprozesses auf kantonaler Ebene unterschieden wird.
Literaturverzeichnis:
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Schneider Silas, Die familienverfahrensrechtlichen Auswirkungen der Revision der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO) vom 17. März 2023, in : Lötscher Cordula/Thurnherr Daniela/Wohlers Wolfgang (Hrsg.), Impulse zur praxisorientierten Rechtswissenschaft, Zürich/Genf 2024.
Spühler Karl/Tenchio Luca/Infanger Dominik (Hrsg.), Basler Kommentar zur schweizerischen Zivilprozessordnung, 4. Aufl., Basel 2024 (zit. : BSK ZPO-AUTOR).
Tappy Denis, Le droit transitoire applicable aux règles introduites par la novelle du 17 mars 2023, in : Bohnet François/Dupont Anne-Sylvie (Hrsg.), CPC 2025 – La révision du Code de procédure civile, Neuenburg 2024, S. 211 ff.
Zitationsvorschlag:
Sara Grunho Pereira – Michel Heinzmann – Françoise Bastons Bulletti in Newsletter ZPO Online 2024-N13, Rz…